Yukon Quest: Am "Dog Drop" Mile 101 ...
Anlässlich der Berichterstattung zum Yukon Quest 2001 erreichte uns eine Nachricht von Peter Kamper, dem Betreiber vom "Dog drop" Mile 101. Mehr zu ihm und dem spannenden Geschehen an seiner Station in den nachfolgenden Geschichten.
In den 18 Jahren, die ich nun in Alaska lebe, habe ich 4 Jahre davon im arktischen Ölfeld der North Slope (nördlich der Brooks Range gearbeitet, 7 Jahre kommerziell in der Bering See und dem Golf von Alaska gefischt und sehr viel Zeit im Busch mit Jagen und Kanuen verbracht.
"101" ist ein Dogdrop, an dem früher nie jemand anhalten wollte, bis ich den Dogdrop übernahm und mit der enthusiastischen Hilfe von anderen Freiwilligen etwas organisierte, das sich in den letzten Jahren wirklich zur Freude entwickelte. Dies hat weniger mit mir, als mit den Leuten zu tun, die ich um mich versammelt habe und die den Kern des Dogdrops bilden.
Ich muss dies wirklich klarstellen, da zu viele Leute "101" hauptsächlich mit mir verbinden, was nicht der Wahrheit entspricht. Ohne "die Jungs" wäre der Dogdrop nur ein kaum erwähnenswerter Teil der Quest. Dieses Jahr haben wir einen 80-Minuten Film dort mit einer Videokamera gedreht, den ich später auf dem Computer zusammengeschnitten habe. Obwohl er in Englisch ist, brachte ein deutscher Freund den Film nach Deutschland und zum Bayrischen Rundfunk, der recht begeistert war.
Dies hängt wohl damit zusammen, dass wir Musher in Unterhosen vor einem Holzofen auf unserem Film haben, die ihre Socken nach 8 Tagen im Rennen mit generellem Missbehagen angucken und ihre Geschichten erzählen ...
Normalerweise zeigen alle Filme immer nur Schnee, Eis und Hunde - was auf die Dauer wohl etwas langweilig werden kann ...
Dogdrop 101 wird im Rennen 2002 leider nicht allzu interessant sein, da es in Fairbanks beginnt und Musher unseren Streckenposten ziemlich früh im Rennen erreichen werden. Natürlich seid ihr herzlich willkommen, allerdings bedeutet für uns, am Anfang des Rennens zu liegen, mehr Arbeit (wir arbeiten in diesem Falle 48 Stunden ohne Schlaf) und weniger Spaß ... Also seid nicht enttäuscht, wenn wir im 2002-Rennen nicht mehr so wichtig sein werden.
Das Rennen 2003 wird wieder in Whitehorse beginnen, und dann haben wir erneut eine recht wichtige Position, genau wie in diesem Jahr ...
Rührei, Lachssuppe, Elchgulasch und selbst Hamburger werden trotzdem wie immer serviert werden. :)
In 14 Tagen werden endlich die seit langem erwarteten großen Flugformationen der Gänse und Kraniche eintreffen. Nach 5 Monaten Schnee ist es aber auch Zeit dafür ...
Ich wünsche euch einen schönen Frühling!!
Viele Grüße aus Alaska,
Peter
Diese guten Wünsche geben wir gern an Peter zurück. Für Interessenten: Peter Kamper organisiert auch entsprechende Aufenthalte beim Yukon Quest mit seinem Alaska Expedition Service!
Und im folgenden einen Rückblick auf den Winter und das letzte Rennen: Bill Pinkhams Kampf bei Mile 101, eine Reportage von Peter Kamper ...
Seit dem späten Mittwochabend hatten die Freiwilligen am Streckenposten "Mile 101" fast durchgearbeitet, um alles am Laufen zu halten. Nun war es Freitagnacht, Tim Osmar hatte schon die Quest gewonnen und Bill Pinkham, ein anderer Musher, hatte gerade erst Central, einen Streckenposten vor uns, verlassen.
Für die Strecke über Eagle Summit bedarf es mit guten Hunden je nach Wetter ungefähr 5-6 Stunden und wir rechneten damit, dass Bill gegen 2 Uhr morgens bei uns auftauchen würde, worauf ich mir den Wecker auf 1:45 Uhr stellte und in meinen Schlafsack in der hintersten Ecke der Hütte kroch ...
Das Wetter hatte sich zusehendst verschlechtert und Windböen trieben schon vor Sonnenuntergang große Schneeschwaden über das Eis des kleinen Flusses neben unserem Streckenposten. Als ich dann 3 Stunden nach dem Einschlafen von meinem Wecker wach wurde, war Kevin, unser Elektronikfachmann und Funker, schon auf. Ich schleppte ich mich an den kleinen Tisch neben dem Ofen, goss mir eine Tasse Kaffee ein und wir grinsten uns beide verschlafen an. Keiner von uns wollte wirklich wach sein, aber wir leisteten uns gegenseitig Gesellschaft.
Nach ein paar Schluck Kaffee öffnete ich die wacklige Hüttentür und ging hinaus in die Dunkelheit, um in Richtung des Berges zu gucken. Irgendwo dort oben sollte in Kürze die Stirnlampe des Mushers auftauchen ...
Die Temperaturen waren auf -20° C gesunken und eine heftige Windböe, die in Sekunden durch einen Wollpullover und zwei T-Shirts drang, trieb mich zurück zur Hütte.
Zwischendurch saßen wir am Tisch, redeten oder schwiegen. Die Stille wurde nur von dem Prasseln des Feuers im Ofen und den Windböen unterbrochen, die an dem kleinen, zugigen und baufälligen Gebäude rüttelten. Die Kerze auf dem Tisch flackerte, die Gaslaterne zischte leise und es wurde 3 Uhr.
Gegen 4 Uhr wurde das Wetter deutlich schlechter. Wir waren alle 15 Minuten nach draußen gegangen, um nach einem Licht auf dem Berg zu suchen, aber es herrschte absolute Dunkelheit und der treibende Schnee verhüllte Himmel und Berg auf gleiche Art.
Wir riefen Central über Kurzwelle, um herauszufinden, ob Bill umgekehrt war, bekamen allerdings keine Antwort. Dort schliefen alle. Das Warten wurde zusehenst ungemütlich und selbst der Kaffee ließ an Wirkung zu wünschen überig. Bill Pinkham ließ zu lange auf sich warten ...
Wir redeten über die lange Nacht, in der wir vor Jahren auf Jerry Louden gewartet hatten. Damals war Aily Zirkle noch seine Betreuerin gewesen und nicht die berühmte Musherin, die sie heute ist. Sie kam in unseren Streckenposten und half sofort beim Kochen und Betreuen der anderen Musher. Louden kam erst, als wir schon eine Rettungsaktion starten wollten - nach 8 Stunden. Sein Schlitten war durch einen Felsen angebrochen worden.
Gegen 5 Uhr waren auch diese 8 Stunden vorbei und ich fand mich mit dem Kopf auf dem Tisch und halbgeschlossenen Augen. "Kevin", witzelte ich, "häng das ´Heute geschlossen´-Schild an die Tür". Wir lachten. Es ist interessant, dass nach Tagen in der einsamen Hütte unsere Witze immer dümmer und unser Gelächter immer lauter wurde. Der Wind heulte draußen vor der Tür und ich legte Holz im Ofen nach. Bei Tagesanbruch weckten wir Monti, unseren Trailbreaker. Er hat über 10.000 km Wildnis und Berge in Alaska auf Motorschlitten befahren, er ist unsere "Ein-Mann-Rettungsmannschaft" und sollte nun auf den Berg. Central wachte gegen 7 Uhr auf und zeigte sich erstaunt, dass Bill noch nicht bei uns war.
Als Monti seinen großen und unverschämt teuren Motorschlitten starten wollte, war der Vergaser eingefroren. Wir schleppten die Maschine in den Windschatten und versuchten sie in Gang zu bringen, während fast alle unanständigen Wörter der englischen Sprache, die nicht im Lexikon stehen, mindestens dreimal benutzt wurden. Die Lage wurde ernst. Pinkham war seit über 10 Stunden auf Eagle Summit, der eine der schwierigsten Stellen der Quest darstellt und wir verschwendeten keine Sekunde daran zu denken, dass er dort campiert hätte. Monti startete seinen Motorschlitten endlich, setzte seinen Helm auf und verschwand, dem Trail Richtung Berg folgend, im treibenden Schnee ...
45 Minuten später kehrte er zurück und 5 Minuten hinter ihm lief Bill Pinkham ein, setzte den Schneehaken für sein Team und begann seine Hunde wortlos zu füttern. Sein Overall von arktischem Kaliber war mit Eis und Schnee bedeckt, sein Gesicht bleich und er schien wackelig auf den Beinen. Mit verbissenem Stoismus betrat er allerdings unsere Hütte nicht, bevor seine Hunde in tiefem Heu lagen und gefressen hatten. Als ich Monti fragte, was los war, warf er mir nur einen Blick zu und runzelte die Stirn.
"Frag ihn", meinte er. "Der Kerl ist halbtot ..." Als Bill dann in die Hütte kam, waren die Reisverschlüsse an seinem Anzug so vereist, dass es einige Zeit brauchte, bis er sich am Ofen aus seinem Anzug "herausbrechen" konnte und zeigte alle Zeichen akuter Auskühlung.
Mit einer Tasse heißen Tees erzählte er dann seine Geschichte nahe am glühenden Ofen, während wir ihm eine riesige Portion Rühreier mit Speck auf unserem kleinen Gasherd machten. Während draußen der Sturm nachließ, der die umliegenden Berge über Nacht in seinen Fängen gehalten hatte, begannen wir wieder einmal zu verstehen, wieso Eagle Summit so gefährlich ist:
Bill verliess Central gegen 9 Uhr abends. Seine Hunde hatten lange gerastet und er war ein erfahrener Musher. Obwohl er aus Colorado kam, hatte er schon mehrere Rennen in Alaska gefahren. Zuerst kämpfte er sich durchs Tal zum Eagle Summit durch und fand viel offenes Wasser auf dieser Strecke (dies nennt sich Overflow: Wasser, das durch das Flusseis an die Oberfläche gedrückt wird und selbst bei -40°C offene Wasserstellen bilden kann). Obwohl er und seine Hunde dort nass wurden, machte ihm dies keine Sorgen. Ausrüstung und Hunde sind an Overflow gewöhnt und er hatte diese Situation täglich auf dem Trail erlebt.
Aus dem Tal heraus kommend begann er Eagle Summit zu besteigen und der Wind nahm zu, während die schon von Neumond und treibendem Schnee verminderte Sicht zu einem Problem wurde. Je höher er stieg, um so verwehter war auch der Trail, bis nur noch eine weiße Ebene und gelegentlich die von den Trailbreakern gesteckten Markierungen zu sehen waren.
Der Wind nahm weiter zu und Schnee trieb in Schwaden. Bill dachte daran, umzukehren. Allerdings waren seine Hunde gesund und wohl ausgeruht, also entschied er sich dafür, trotz allem über den Gipfel "101 Mile" erreichen zu wollen. Der Trail zum Gipfel hat mehrere scharfe Biegungen und in einer dieser Kurven müssen Bill und sein Leithund den Trail dann verpasst haben. Auf jeden Fall fuhr er später in absoluter Dunkelheit für 20 Minuten durch treibenden Schnee, ohne Markierungen zu sehen und wusste plötzlich, dass er vom Weg abgekommen war.
Dies kann passieren und obwohl ungewöhnlich, ist dies in der Yukon Quest und für Musher von Pinkhams Kaliber kein großer Aufwand. Er gab seinem Team im peitschenden Wind einen Happen zu essen, ließ die Hunde sich in den Schnee graben und verkroch sich in seinen Schlafsack im Windschatten des Schlittens. Das Wasser im Tal und der Schnee, den der Wind an seinem Anzug festgesetzt hatte, ließen ihn allerdings bald merken, dass dies falsch gewesen war:
"Ich war fast eingeschlafen, als meine Hose nass zu werden begann und danach mein Hemd. Plötzlich wurde mir klar, dass ich einen großen Fehler begangen hatte. All der Schnee und das Eis vom Overflow begann an meinem Anzug aufzutauen und nach kurzer Zeit war ich bis auf die Unterwäsche nass. Kurzer Hand stieg ich aus dem Schlafsack und begann Kreise um mein Team zu laufen, um warm zu bleiben, während der Wind so stark wurde, dass die treibenden Eiskristalle im Gesicht schmerzten.
Dann entschloss ich mich, nach dem Trail zu suchen und arbeitete mich in einer Querlinie den Berg hoch. Der Schnee war tief, aber ich wusste, dass irgendwo nahe bei eine Markierung und der Trail sein musste. Im treibenden Schnee ist es leicht, Halluzinationen zu sehen. Hochragende Felsen sehen wie Gipfel aus, freigewehtes Geröll wird zu "Booties" (Stoffsocken für Hunde. Musher wechseln diese oft und lassen die abgewetzten "Booties" am Trail liegen). Er glaubte also den Trail gefunden zu haben ...
Aber nun gab ich auf und wollte zu meinen Hunden zurückkehren. Als ich allerdings umkehrte, konnte ich nach 200 Metern meine eigenen Spuren nicht mehr sehen und wusste sehr bald, dass ich einen riesigen Fehler begangen hatte. Zuerst konnte ich den Trail nicht finden, nun aber fand ich den Weg zurück zu meinen Hunden nicht mehr! Auf einem Berghang zu stehen, auf dem der Wind einen fast umwirft und die Stirnlampe im treibenden Schnee nicht weiter als 20 Meter reicht, während die Kälte langsam in den Körper dringt, ist ein recht miserables Gefühl ...
Ich grub mir eine Kuhle im Schnee und legte mich hinein. An diesem Punkt war mir klar, dass mir nichts anderes übrig blieb, als auf das Tageslicht zu warten." Er schüttelte den Kopf und man sah deutlich, wie die Bilder der langen Nacht durch sein Gedächnis liefen.
Wir hingen natürlich alle gebannt an Bills Lippen, als er die Geschichte erzählte. Inzwischen hatte ich ihm eine riesige Portion Rührei mit Speck und Brot vor die Nase gestellt und er begann, riesige Happen in seinen Mund zu schaufeln.
"Verdammt nochmal", meinte er lachend und mit vollem Mund. "Obwohl es kaum möglich ist, würde ich sagen, dass dies das beste Frühstück ist, das ich je im Leben gegessen habe."
Gedankenverloren fuhr er dann mit seiner Geschichte fort: "Ich schlief in einer Art Fötusposition ein, nachdem ich die Kuhle gegraben hatte. Wie lange ich schlief, weiß ich nicht. Allerdings hatte ich einen Traum, in dem ich mich selbst von hoch oben im Schnee erfrohren liegen sah. Einfach so, mit Schnee an den Wimpern und allem drum und dran. Das hat mich aufgeweckt.
Ich bin mit einem Ruck hochgefahren und Schnee fiel von mir ab, als ich aus der zugeblasenen Kuhle hochschoss. Ich glaube nicht, dass ich je so schnell aufgewacht bin und das war eigentlich der einzige Augenblick, wo ich wirklich Angst hatte. Weit im Osten wurde der Himmel hell und ich fühlte mich fast warm und leicht gelähmt. Wenn ich dann nicht aufgestanden wäre, wäre ich wahrscheinlich nicht hier. Der Traum war so verdammt real .... Ist da noch etwas Speck in der Pfanne ?"
Bills bleiches Gesicht begann langsam Farbe anzunehmen und ich bewunderte ihn. Während ich den Rest des Specks auf seinen Teller plazierte, begannen langsam Wassertropfen von seinem eisverkrustetem Overall am Ofen zu fallen und er setzte seine Geschichte fort: Ich bin dann wieder im Kreis gelaufen. Nur nicht mehr hinlegen! Das Bild aus meinem Traum hätte eh verhindert, dass ich mich irgendwie hinsetze.
Glücklicherweise hatte der Wind etwas nachgelassen und ich stellte mit Erstaunen fest, dass ich fast am Gipfel von Eagle Summit war. Später sah ich dann endlich mein Hundeteam im Tal. Erst wollte ich nicht glauben, dass dies mein Team war. Sie waren viel zu weit weg. Es erschien mir unmöglich, dass ich so weit den Berg hochgelaufen war, aber dann glaubte ich meinen Schlafsack neben dem Schlitten zu sehen und bin den Berg hinunter gelaufen."
Er zuckte mit den Schultern: "Naja, danach sah ich dann die Trailmarkierungen weit links von mir. Die Hunde haben sich aus dem Schnee gewühlt und ...", er lachte leise ..."hier bin ich."
Etwas gedankenverloren fügte er hinzu: "Es ist gut, dass ihr nicht gekommen seid, um mich zu finden, denn ich hätte eure Hilfe wahrscheinlich angenommen, und das hätte mich vom Rennen disqualifiziert."
Von unserem Standpunkt aus hätten wir ihn wahrscheinlich gar nicht finden können, aber dies erwähnten wir nicht. Seufzend stand er auf, betrachtete leicht missmutig seinen tropfenden Overall und meinte: "Ich muss mal nach meinen Hunden gucken. Bin gleich zurück...."
Bill Pinkham erreichte die Ziellinie in Fairbanks am Sonntag,den 25. Februar 2001 um 17:40 Uhr. Er belegte damit den 15. Platz und kam grade rechtzeitig an, um seine Hunde zu versorgen und eine dringend notwendige Dusche zu nehmen, denn um 19 Uhr begann die offizielle Yukon Quest Siegerkrönung im Westmark Hotel.
12 der 31 Musher, die das Rennen begonnen hatten, mussten aufgeben. Für den 15. Platz wurde Bill beim Siegerfest ein Scheck in Höhe von 1.500 $ überreicht ...
© 2001 Alaska
Expedition Service Peter Kamper, Bild Bill Pinkham: Fairbanks
Daily News Miner.
(Die Story über den Kampf bei Mile 101 wurde
ebenfalls veröffentlicht bei
Alaska Dogmushing.)
- Auf nach Alaska - zum Abenteuer Yukon Quest: Was die Musher sonst noch so erwartet ...