Messeeindrücke ...
Bei Einfahrt auf das Messegelände haben wir lange Schlangen vor den Messekassen gesehen: Ein gutes Zeichen für uns. Die Deutschen reisen wieder. Oder besser: Das Deutsche reist - ein Volk auf der Flucht vor sich selbst, nur verlassen sie Deutschland nicht, sondern nehmen es mit oder fahren in Länder, in denen es Eisbein, Sauerkraut und Schwarzwälder Kirschtorte gibt. Super, Namibia also voll im Trend, wir müssen was draus machen. Reisende soll man nicht aufhalten. Weg sein heißt: nicht da sein.
Kein Dasein? Der Begriff "Qualitätskunde" ist außerhalb der Dienstleistung Touristik unbekannt, in allen anderen Unternehmenssparten gibt es nur das Qualitätsprodukt. Ist Reisen denn eher Tätigkeit oder ist es tatsächlich auch ein Produkt? Reist man nur, damit sich die Biographie später interessanter anhört? Wenn der Weg das Ziel ist, was ist denn der Rückweg nach Deutschland, wenn jemand in Namibia war?
Merkwürdig, die anderen Staaten haben alle Tourismusbüros für Touristen, nur in Deutschland sind es Fremde, für die man Fremdenverkehr in Ämtern organisieren muss ...
Gespanntes Warten: Wann hat es der erste potentielle Reisegast von der Kasse bis in unsere Fernreisehalle geschafft? Da, da kommt der erste! Herangerollt! Rollstuhlfahrer werden immer bevorzugt in die Halle hereingelassen. Die Mitbewerber in den Nachbarständen drehen sich schnell weg und unterhalten sich miteinander. Sie vermeiden es, einen Rollstuhlfahrer, der am Stand vorbeirollt, direkt anzusprechen. Ausnahme: vermögender, Rolexuhr tragender Rollifahrer (selten) oder Liebe auf den ersten Blick (sehr selten).
Hier kommt unsere goldene Messeregel passgenau zum Einsatz: Augenkontakt halten! Kann man vor den Einheitsmessestandtischtresen nur einen Haaransatz sehen, sehen wir den ganzen Menschen in unserem Stoßzahntorbogen. Wie nimmt man nun Blickkontakt auf? Der Blick darf nicht zu lange (gaffen) oder zu ernst (mitleidig) sein. Ein hämisches Grinsen oder ein lautes Lachen mit ausgestrecktem Zeigefinger kann ebenfalls sehr schnell fehlinterpretiert werden. Also, ein kurzes freundliches Lächeln ist die halbe Miete.
"Meinen Sie, Afrika ist was für mich?" "Natürlich, es gibt sogar eine eigene Tour `Rollroute Nam´". Zwar haben wir kein einziges Fahrzeug mit Hebebühne für Rollstuhlfahrer im Namibiatourismus, aber wenn man eine Sitzbank im VW-Bus ausbaut, bekommt man fast alle Rollstühle reingewuppt und fixiert. Und mittlerweile haben wir mehrere Unterkünfte in Nam, die rollstuhlfahrergerecht sind und auch unsere Fluglinie, die Air Namibia, hat einen eigenen Rolliservice. "Hilfestellung ist immer da!"
Ich verkneife mir jetzt die Bemerkung "Ich hab mir auch schon mal so böse im Sossusvlei den Zeh gebrochen, dass die Ärzte dachten, ich könne nie wieder normal gehen". "Quadbiken in den Dünen wird Ihnen sicher Spaß machen!" "Klingt toll, ich werde es mal in unserer WG vorzeigen und mir im Internet ihre Seite anschauen". "Auf Wiedersehen".
Der erste Gästekontakt und ich glaube, den sehen wir wieder!
Im Hintergrund dampft der Ricoffee aus dem Carepaket. Man wird lockerer und jetzt kommen auch größere Menschengruppen. Meine Gefährten sind am Messestand so eingeteilt, dass meine weggeheirateten und nun in Deutschland lebenden Angestellten die ewig gleichen Fragen beantworten: Beste Reisezeit? Wo liegt Namibia? Schlangen und Skorpione? Kriminalität? Welche Schuhe? Ein hübsches schwarzes Gesicht und spricht auch noch Deutsch, senkt sofort die Angstschwelle ...
Ich kümmere mich um unsere Wiederholergäste auf dem von uns organisierten "Namibia-Klassentreffen", um Pressekontakte, gebe Radiointerviews und erkläre vor den Lokalfernsehkameras den Unterschied zwischen Breitmaul- und Spitzmauldroppings. Dazwischen immer wieder Fachbesucher, denen ich die Vorzüge von Namibia mit guter Infrastruktur erläutere, luxuriösem Raumangebot - "vier Autos hintereinander sind ein Stau" - ohne Jetlag, mit Selbstfahrermöglichkeiten, praktisch moslemfreier Zone und dass es von Wüste über Tierwelt und freundliche Naturvölker nahezu alles enthält, was sich der moderne Individualtourist erhofft und wünscht.
Reisegäste von uns helfen am Messestand aus: Sie sprechen die Mundart der Einheimischen - auf manchen Messen braucht man eben Dolmetscher - und es wirkt extrem vertrauensfördernd, sobald die potentiellen Gäste feststellen, dass sie von erfahrenen Gästen beraten werden und nicht von Messehostessen, die aus Veranstalterprospekten vorlesen ...
Zudem sind diesmal auf unserem Safari Erlebnisstand vertreten: Arifu Tours, ein namibischer Veranstalter für Ethno- und Angelreisen, Naua Naua Lodge aus der Nähe von Etosha als Beherbergungsbetrieb mit Flugzeug, durch Kimberly Marx, der schwarzen Baroness und ein Autoverleiher - also geballtes Safariwissen für alle Aspekte des Namibiareisens.
Dass wir hier ein ganz besonderes Land vertreten können, bekommen die Nachbarstände ständig mit, wenn ein Gast mit dem Finger über Südnamibia fährt und von seinen Etosha-Erlebnissen erzählt, Oma und Enkel vor der Buschschule stehen und Buschmannrasseln anfassen und getrocknete Mopanewürmer unter lautem Quietschen verzehren, eine deutschsprachige Zeitung aus Windhoek mit Tourismusbeilage auf dem Messestand ausliegt, Menschen verträumt mit glasigen Augen vor dem Stand stehen und in Safari-Erinnerungen schwelgen, jemand die Namibia-Flagge anfassen möchte oder das Zebrafell wegkaufen, das Reiterstandbild aufgrund seiner Einzigartigkeit gelobt wird, nach dem alten Landcruiser auf der Farm x gefragt wird und ob der Dings immer noch auf der Dingsfarm irgendwo bei dem Ort, der mit "O" anfängt arbeitet, und ob die Tochter von der Farm y schon verheiratet sei; wenn wir gefragt werden, ob wir einen Swingerclub in Namibia betreiben, weil wir uns immer alle umarmen, ...
Als wir alle schon fast komplett heiser sind, erwäge ich, den Unimog anzulassen, um die Sprinkleranlage in der Halle in Gang zu setzen, aber der Schlussgong der Messe erlöst uns trockener. Namibia: Natürlich, rau, seelenvoll, befreiend!
Schlussbesprechung des Tages am Abend, was für einen Eindruck hattet ihr, wie konkret waren die Fragen, was waren die Hauptängste, welche Tour ging am Besten, wann wollen die Leute kommen, was müssen wir morgen früh auslegen, was wurde aus dem Shop verkauft. Die Reisemessen bis März des Jahres sind ein gutes Barometer, wie das Tourismusjahr sein wird. Am Abend nach der Messe: Emails an die Büros, um schon Flüge und Etosha-Buchungen zu veranlassen, Adressen weiterleiten, damit Unterlagen ausgesandt werden, Rückfragen, welche Reiseträume eingegangen sind, Pressemitteilungen an die Lokalpresse senden mit ersten Photos von der Messe.
Afrika in Europa kommt spät zur Ruhe ...
In die Schweiz ...
Auslandseinsatz! Der Plan war, nachts einfließen in die Schweiz und vor den Messehallen in Zürich parken. Dann ist man das erste Fahrzeug, welches durch die Auffahrschnecke in die Hallen kommt. Wenn man einen halben Tag später rein fahren will, muss man den Allradgang einlegen und seine Haftpflichtversicherung aktuell halten, um auf sein Messestandgelände zu kommen.
An der Schweizer Grenze steht ein Grenzpolizist: "Was haben denn Sie geladen?" "Eisenbahnschweller, Steine und meinen Messestand". "Dafür brauchen sie ein Carnet, damit sie den Messestand nicht verkaufen". Bergvölker! Wären Schweizer bei uns eigentlich Damaras? denke ich still. "Wieso verkaufen, gibt es gerade eine Schwellerknappheit in der Schweiz? Ich habe eine Buchungsbestätigung der Folgemesse in München, ich brauche dort meinen Messestand. Carnet kann ich jetzt nicht. Machen wir doch einen Plan. Ich habe einen Schlepptop dabei, damit erstellen wir eine Inhaltsliste, die stempeln Sie, ich hinterlege eine Sicherheit und komme hier wieder nach der Reisemesse zurück und wir vergleichen, ob ich noch alles dabei habe" ...
"Klingt vernünftig". Na also, mit diesem Grenzer kann man doch reden. Dabei hielt ich Schweizer immer für engagierte Bedenkenträger, die ihren Jahresurlaub als Impfhelfer in Norderney verbringen und Bierdeckel sammeln, deren häufigster Suchbegriff im Internet "Haftpflicht" ist und die an Wochenenden mit der Familie die Trivial-Pursuit-Steuergesetz-Edition ("Wie hoch war 1976 der Spitzensteuersatz für alleinstehende selbständige Nebenerwerbsalmlandwirte?") spielen. Beim Aufklappen des Laptops fällt mein Blick auf eine ungewöhnliche Steckdosenform: "Entschuldigung Herr Zöllner, haben Sie ein Adapter von Schweiz auf Welt?"
Nach 8 Stunden Wartezeit bis zum Schichtwechsel winkt mich der neue Schweizer Zöllner durch die Grenze: Nach Zürich geht es nun ab den Rheinfällen schnell bergab. Paul´s Winterreifen bringen mich sicher und als erstes zum Messegelände: Das Schweizer Fernsehen steht bereit, um die Ankunft der ersten Messeaussteller zu filmen. Eine Toblerone entschädigt mich für das fünfmalige Aufsitzen und Einfahren in das Messegelände, da die Kamerablende eingefroren ist ...
Dem Aufbau des Messestandes folgt dann Routine und auch die eigentlichen Messetage sind - mit Ausnahme der langen Hosen - ähnlich. Die Schweizer verstehen es auch, von ihrer Sprache mit den Gutturallauten - man wartet immer auf den Damara-Klick - schnell ins Hochdeutsche zu wechseln. Merkwürdig: Hier zuckt keiner bei unseren Preisen. Und wieso kommen Schweizer eigentlich jedes zweite Jahr zurück nach Nam und nicht alle drei Jahre, wie der durchschnittliche deutsche Reisegast ..?
Beim nächtlichen Rausfahren aus der Messehalle nach Ende der Messe komme ich an einem Parkhaus vorbei. Gut, dass ich in Zürich keinen Parkplatz suchen musste und direkt in die Halle hineinfahren konnte: Ein Tag im Parkhaus kostet hier so viel wie zwei Monate das Fahrzeug auf einer Farm in Namibia abzustellen. Und außerdem: 6.924 freie Parkplätze. So viele Autos haben wir in ganz Namibia nicht ..!
Die Zeit zum Namibiaforumstreffen wird mit Vorträgen im Verkehrsmuseum und im Pöschtli verbracht und um die nächsten Reiseangebote zu schreiben. Das Forumstreffen ist ein Wochenendtreffen von Afrikaverrückten in einer Waldhütte am Faulensee mit Diavorträgen, Internet-Blog-Workshops, Gemsbockbraai, Savanna Dry, Winterpotje und Feuerzangenpotje. Man trifft hier auf Namen wie Chrigu, Joli, Bazi, Osket, Savuti, Sammy - also ähnlich wie die Namensliste der Buschmannschule in Grashoek ...
Flashlens hat mich nach meinem Bildervortrag heute in die Geheimnisse guter Kameraeinstellungen eingewiesen: Während beim Querformat mehr Darsteller nebeneinander ins Bild passen, kriegt man beim Hochformat mehr Leute übereinander drauf. Ein Vorteil, der vor allem Giraffen- und Pornofilmer interessieren dürfte. Ein täglicher Programmpunkt ist natürlich auch ein Gamedrive im offenen Unimog im Berner Oberland.
Zeitweilig werden sogar Lamas gesichtet und natürlich auch ein paar Schweizer Büffel ...
Auf zur nächsten Messe: In den drei Monaten Januar bis März entscheiden sich ungefähr 70% der Namibiabuchungen für das Jahr. Man darf jetzt also nicht sükkeln. Mit Mautgebühren bis nach Konschtanz, dann mit der Fähre über den Bodensee und in strammer Nachtfahrt durch Schneegestöber nach München.
Auf dem Weg werden drei Fahrzeuge aus dem Graben gezogen und das Spritgeld ist verdient. In meinem Buch "Ein Unimog erzählt" wird dieses Kapitel wohl "Der Khaki-Engel" heißen. Wenn ich jemals mit diesen klammen Fingern wieder schreiben kann ...
Die Müdigkeit wird immer stärker: Um nicht am Steuer einzuschlafen, denke ich mir schwierige Wörter aus wie zum Beispiel "Erdmännchenföhndauerwelle", oder ich überlege, was ich wohl machen werde, wenn ich wieder zurück in Namibia bin: Meine Wohnzimmerwände mit Biltong dekorieren? Regentropfen zählen und nummerieren? Freundschaft mit einer Makalanipalme schließen? Einem namibischen Computerhacker ein paar ungewöhnliche Passwörter verraten wie z.B. "Sam" oder "Tafellager"? Etwas Ulkiges erleben und für mich behalten?
Ab Landsberg erzähle ich mir Witze, die ich noch nicht kenne: "Warum haben wir in Namibia soviel Kreisverkehr? Weil die Lenkradschlösser von den geklauten Fahrzeugen noch eingerastet sind." Beim Griff zur Coca Cola fällt mir ein: "Die ist ja wie Boxer Harry Simon: Schwarz und schlecht für die Zähne". Aus lauter Verzweiflung erfinde ich Bauernregeln wie "Will er nach Namibia hotten, muss der Bauer globetrotten".
Langsam überfällt mich der Wahnsinn, im Autoradio höre ich: "Anhaltende Regenfälle mit Yoghurtgeschmack haben weite Teile der Namibwüste urbar gemacht. An der Wiederunurbarkeitsmachung der Touristenattraktion arbeitet eine internationale Expertenkommission aus zwei Finnen und einem Spezialisten".
Dass man in Namibia normal ist, merkt man daran, dass ... hahahahoho hups hups. Ich fahre auf den Parkplatz und lege mich erst einmal schlafen. Die Messesaison geht weiter - soweit die Reifen tragen ...
© 2008 Carsten Möhle, Bwana Tucke-Tucke. Kontakt: info@bwana.de
Mehr zu Bwana Tucke-Tucke und vom Autor ...
Wer erfahren möchte, wie unser Autor mal nicht anlässlich alljährlicher Schneesafaris in der Fremde, sondern dagegen zu Hause in Namibia tourt, der möge unsere Story über die Paul Graetz Erinnerungstour lesen, die uns seinerzeit von Carsten Möhle und Bwana Tucke-Tucke erreichte:
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Paul Graetz Erinnerungstour ´99: Im Auto quer durch Afrika - oder: Als wär´s eine Reise zum Mond ...