Hinauf, hinauf in schwindelnde Höhen!
Der Morgen beginnt früh: Ab 7 Uhr soll es Semmel geben, eine Vorbestellung, so wie sie im Merkblatt angeraten ist, sei nicht nötig, teilte man uns am Abend zuvor mit.
Aber manchmal ahnt der Touristenbauch mehr als das Personal weiß, und so eilt man um 7 Uhr zur eidgenössischen Semmelausgabestelle und wird - wen wundert es - nach der Vorbestellung gefragt. Das goot gaga nöööt, kann man da nur noch in fließendem Schwiizertüütsch sagen, und das hilft! Einige Semmeln finden sich für unser Frühstück ...
Und ein stärkendes Frühstück ist von Nöten, denn heute geht es hinauf auf 2.869 m zur Aletscharena - mit der Luftseilbahn (wir wollen nicht übertreiben). Die Wettergötter sind gnädig wie so oft und schenken einen herrlichen Sonnentag.
Die Eggishornbahn mit Zwischenstopp auf der Fiescheralp auf 2.212 m führt hinauf zum Altschgletscher, dem Unesco Weltkulturerbe, dem längsten Gletscherstrom der Alpen, der so sehr unter der Klimaerwärmung leidet. Die Fiescheralp, auch Kühboden genannt, ist weit entfernt von einem Almidyll: Es handelt sich vielmehr um ein Areal mit Hotels, Appartments, Restaurants, Andenkenläden - ein kleines Touristendorf in luftiger Höhe.
In der Gondel zur Bergstation kann es schon eng werden, denn bei gutem Wetter nutzen auch zahlreiche Gleitschirmflieger die Bahn als Transportmittel zum Startpunkt. Während der Fahrt tauscht man sich aus über die besten Orte zum Gleitschirmfliegen. Korsika, Kroatien, Österreich, Teneriffa - ganz schön weit rumgekommen sind auch die Piloten ...
Oben angekommen ist man überwältigt vom Bergpanorama: Eiger (3.970 m), Mönch (4.107 m) und Jungfrau (4.158 m) sowie das Aletschhorn (4.193 m) erheben sich über dem Gletscherstrom, der auch heute noch gut 23 km lang ist. Und - auch wenn man sie von hier aus nicht sehen kann - wer dächte beim Blick bis zum Eiger nicht an die legendäre Besteigung seiner Nordwand im Jahr 1936 und den packenden Film darüber?
Weiter entfernt sind bei gutem Wetter Matterhorn (4.478 m), Weißhorn (4.505 m) und der Mont Blanc (4.810 m) zu sehen - und wir haben ein Spitzenwetter!
Viele machen sich auf, das benachbarte Eggishorn (2.934 m) zu erklimmen, so dass sich dort am Gipfel eine Warteschlange bildet und der Berg an einen Ameisenhaufen erinnert.
Wer sich hier auf den Wegen bergauf und bergab schnell bewegt, kann durchaus spüren, dass die Luft in dieser Höhe schon etwas dünner ist.
Auch rings um den Gletscher sind Mengen an Touristen unterwegs, teils zünftig wie Bergsteiger gekleidet, teils in Sandälchen und Sommerkleidchen. Überall lässt man sich nieder zum Brotzeiten - mit Tee oder auch mit einem Fläschle Wein ...
Wer seinen Picknickkorb nicht mitgenommen hat, kann - wenn er sich denn einen Platz erkämpft - in der Berghütte Horli Hitta deftige Walliser Speisen mit Schweizer Wein und Schnaps probieren. Wir sind froh, dass das Wetter es erlaubt, draußen zu sitzen, denn in der Hütte ist ein so unbeschreiblich intensives Aroma von geschmolzenem Bergkäse, dass es hier drinnen nur die hartgesottensten Bergfexe aushalten können. Mit Speckbrot und einem Achtele Roten kann man den Trubel dann weitaus besser draußen ertragen.
Eine Tafel neben der Berghütte erinnert an die Weihe des Aletschgletschers zu einem Sri Chinmoy-Friedensgletscher mit folgender Inschrift (Sri Chinmoy ist ein spiritueller Lehrer, der unter anderem zusammen mit der UNO Projekte in der ganzen Welt veranlasst und betreut):
Mit seiner stillen Weite, Schönheit und Kraft vermittelt der Aletschgletscher ein überwältigendes Gefühl des Friedens und der Freude, das uns an die Quelle der Schönheit erinnert ... |
Nun, inmitten der Massen an Touristen erreicht einen kaum ein Gefühl der stillen Weite und des Friedens, aber Schönheit und Kraft, das strahlt die gesamte Region doch aus. Überall wurden Steinmännchen errichtet und kaum einer kann der Versuchung widerstehen, dem einen oder anderen Steinhaufen einen weiteren Stein hinzuzufügen.
Der Abstieg zur Fiescheralp ist gesperrt, so muss man auch bergab die Bahn nehmen.
Wieder im Tal, geht es von der Talstation entlang der Rhône zurück zum Camp. Der Glacierexpress fährt vorbei und macht Lust, die Region mit dem Zug zu erkunden. Aber das muss auf ein anderes Mal verschoben werden ...
Vor dem Essen ist noch Zeit genug, den Eseln am Camp beim Spielen zuzuschauen (nein, gemeint sind keine Mit-Camper ... ).
Heute wird das Restaurant am Platz besucht: Keine wirklich gute Idee ... Nein, nicht wegen des Essens, das ist recht gut, nein die Bedienung schnieft und hustet, sie erzählt von einer schrecklichen Erkältung, die die ganze Familie heimgesucht hat. Grauen macht sich breit, man geht in Deckung. Das Grauen versucht man am Besten mit einem Schluck Hochprozentigem an der Bar zu vertreiben: Schnell kommt man mit dem Barmann ins Gespräch und siehe da, es handelt sich um einen ausgewanderten Deutschen aus den neuen Bundesländern, der dort - wie wohl viele - keine Perspektiven mehr für sich sah. Kurzerhand ist er vor einigen Jahren nach Fiesch gezogen und lebt hier glücklich und zufrieden.
Nun, bald ist die Bedienung mitsamt ihren Viren vergessen, aber leider nicht für uns und für immer ...
© 2011 Text/Bilder Sixta Zerlauth