Süddeutsche Zeitung, 04.10.2000
Ukrainische Armee lässt abenteuerlustige Touristen Krieg spielen
Kiew (AFP) - Eine Spazierfahrt im Panzer, einen Flug als Kopilot am Steuer eines Kampfjets oder Granatenwerfen als Freizeitsport - derartige "Urlaubsvergnügen" bietet neuerdings die ukrainische Armee abenteuerhungrigen Touristen. In Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium in Kiew vermarktet und vermittelt das private Reisebüro Alaris diese Ferienerlebnisse an Urlauber, denen Pauschalreisen zu langweilig und zu billig sind. "Unser Ziel ist es, den Verteidigungshaushalt etwas aufzubessern", sagt Oberstleutnant Juri Dumanski. Die Palette der Angebote sei sehr groß. Allerdings reduzieren die hohen Preise den Kundenkreis auf in der Regel wohlhabende Menschen aus dem Westen und auf neureiche Geschäftsleute mit halb-mafiösem Hintergrund.
Eine sechs Kilometer lange Spazierfahrt in einem ukrainischen Panzer der aktuellen Typen T-80 oder T-72 durch eine pittoreske Steppen- und Waldlandschaft kostet umgerechnet mehr als 700 Mark. Aber für diesen Preis darf der Kunde das fast 50 Tonnen schwere Gefährt auch selbst lenken und mit 50 Stundenkilometern durch die Landschaft jagen. Gegen einen Aufpreis von 600 Mark darf der touristische Panzerfahrer auch auf ein Ziel feuern.
Liebhaber der Lüfte müssen für ihr Vergnügen noch mehr hinblättern: Die Flugstunde als Kopilot von Kampfjets der Typen Su-27 oder MiG-29 soll bis zu 20 000 Mark kosten. Der Nervenkitzel der ausgedehnten Flugakrobatik ist nur Besitzern außerordentlich dicker Brieftaschen vorbehalten: Für die Teilnahme an gefährlichen Flugmanövern in den selben Jagdflugzeugen muss der Abenteuerlustige zwischen 30 000 und 40 000 Mark zahlen. Im Vergleich dazu ist die Flugstunde in einem Kampfhubschrauber vom Typ Mi-8 geradezu günstig: zwischen 8000 und 9000 Mark. Wem der simple Helikopter-Flug zu wenig Action bietet, darf gerne auch noch tiefer ins Portemonnaie greifen: Eine inszenierte Notlandung nach dem Ausfall von zwei Motoren kostet 12 000 Mark.
Auch eigenhändig Krieg spielen dürfen die Kunden: Schon für 100 Mark pro Schuss darf ein Granatwerfer bedient werden. Mit 80 Mark etwas preiswerter kommt da eine zünftige Salve aus einem Maschinengewehr. Zum Jedermanns-Tarif für schlappe 30 Mark ist eine Salve aus dem traditionellen Kalaschnikow-Gewehr zu haben. Noch nicht einmal fünf Mark kostet der einzelne Schuss für eher zaghafte Touristen.
Bevor kriegshungrige Urlauber allerdings in die Cockpits und an die Flinten gelassen werden, müssen sie eine medizinische Untersuchung überstehen und eine Erlaubnis des ukrainischen Geheimdienstes erhalten, wie die Reiseagentur Alaris vorsichtshalber warnt. Zur persönlichen Sicherheit werden die Kriegstouristen rund um die Uhr von einem Offizier begleitet, versichert Reisebüro-Chef Georgi Jarow, selbst ein Ex-Militär. Sollte dennoch etwas schief gehen, stehe den betuchten Abenteurern natürlich eine Versicherung zur Seite.
Auch wenn die genaue Verteilung der Einnahmen zwischen Reisebüro und Verteidigungsministerium noch nicht bekannt ist, steuerten die ersten Kunden immerhin schon fast 15 000 Mark zum Militärhaushalt bei. Sechs russische Geschäftsleute verbrachten dem Reisebüro zufolge im Frühling ein paar Urlaubstage mit ukrainischem Schießgerät. Der große Boom ist seitdem jedoch ausgeblieben. Das aber soll sich Reisebüro-Manager Jarow zufolge schon bald ändern: "Demnächst erwarten wir eine riesige Nachfrage", spricht er sich und seinem Unternehmen Mut zu. "Wir können hier bis zu tausend Urlauber pro Monat aufnehmen."