Ganz kurz zurück in Deutschland -
Interview mit dem "Kairoer" Franz Murr ...
Vorbemerkung der Redaktion: Klar, eigentlich wollten wir Franz Murr auf dem UNIMURR-Treffen in Franken besuchen und nach seiner Einladung dort auch mit ihm sprechen - insbesondere über seine Erfahrungen und Pläne in Kairo. Schließlich hatte er doch mit seinem spannenden Bericht über die "Wirtschaftsflucht" nach Kairo neugierig gemacht, darüber mehr zu erfahren.
Da jedoch leider etwas dazwischen kam, fand stattdessen ein Treffen mit Franz im Münchner Stadtteil Trudering statt, wo er ganz in unserer Nähe seine Werkstatt hat. Am 20.07.09 war er mehr als beschäftigt, als es zum Gespräch kam. Wir danken ihm deshalb für diese Gelegenheit, wünschen ihm alles Gute für seinen weiteren Aufenthalt in Kairo und hoffen, vielleicht in Zukunft einmal bei einem seiner UNIMURR-Treffen teilnehmen zu können!
EM: Wie fühlt man sich bei so einem Wetter wieder in Deutschland?
FM: Man quält sich ein bisschen, insbesondere wenn man wie ich jetzt aufs Freie angewiesen ist. Man ist es nicht mehr gewohnt: Eines der positiven Dinge in Kairo, das Wetter dort ist halt nicht schlecht. Als wir hier ankamen, war es sehr unangenehm, sehr schwül, unangenehmer als im Sommer in Kairo wegen der dortigen trockenen Hitze.
EM: Was macht der Kairoer Husten?
FM: Keine Frage, der Dreck und die Luftverschmutzung ist unglaublich dort, wir werden u. a. auch wegen der Verantwortung für die Kinder nun doch nur noch zwei Jahre bleiben. Auf die Dauer nehmen die Lungen Schaden. Ich möchte das nicht riskieren, viele Leute leiden in Kairo an Lungenproblemen, viele sterben an Lungenentzündungen. Wenn man die Stadt und ihre Dunstglocke erlebt hat, wundert einen das nicht. Untersuchen haben wir uns hier noch nicht lassen.
EM: Du bist nun fast ein Jahr vor Ort, würdest du das noch einmal machen?
FM: Ja selbstverständlich, das sind einfach Lebenserfahrungen. Wir werden nach zwei weiteren Jahren Kairo nicht mehr die selben sein wie vorher und auch die Kinder machen dort eine Horizonterweiterung mit, die derzeit in ihrem vollen Umfang noch gar nicht abzusehen ist.
EM: Was vermisst du am meisten von Deutschland, was stört am meisten in Kairo, was liebst du am meisten dort?
FM: Am meisten vermissen wir die gute Ernährung, die wir in Deutschland haben: Die Ägypter bzw. die Araber haben keine "Esskultur" im Sinne einer ausgewogenen Ernährung, der Speisezettel ist sehr eintönig, sehr ungesund, sehr fetthaltig, viele Dinge gibt es überhaupt nicht zu kaufen und die es zu kaufen gibt aus europäischen Breiten, sind exorbitant teuer. Die Ernährung ist also nicht so toll, mit Getränken gibt es weniger Probleme, es gibt sogar gutes Bier und guten Wein in Kairo.
Am anstrengendsten ist in Kairo vor allem der infernalische Lärm. Manche Leute stecken das besser weg als ich, mich aber kostet es einen großen Teil meiner "mentalen Energie". Nachts geht es noch, vor allem nach unserem Umzug in eine ruhigere Umgebung (Anm. der Red.: nach Alt-Maadi, siehe Bericht Ägypten 2008/2009), aber es ändert sich eben schlagartig am Tage und sobald man den "Schutzraum" Wohnung verlässt.
Viele Dinge dort sind dafür aber erheblich unkomplizierter als hierzulande: Es ist "wirkliches" Leben, es ist schneller und fixer. Ich erlebe Deutschland aus dieser Sicht als sehr viel träger und behindernder in Hinblick auf vieles, was ich hier machen kann. Auch wenn Ägypten als Weltmeister der Bürokratie gilt, ist es doch etwas anderes; es hat ein bisschen was mit Lebensart zu tun, mit der Mentalität der Menschen dort. Das hat mich in Deutschland immer schon gestört und macht mir hier inzwischen noch mehr zu schaffen. Die Abläufe hier haben weniger mit Ruhe zu tun als vielmehr mit Trägheit im Handeln und im Geiste bei vielen Menschen.
EM: Die Resonanz auf deinen Bericht zeigt, dass du als "wahrer" Abenteurer eingestuft wirst, fühlst du dich auch so?
FM: Nein, ich bin kein Abenteurer, das ist völlig falsch. Ich bin eher ein Mensch, der niemals etwas ohne "doppelten Boden" und ohne Sicherheit tut. Ich fahre mit einem der wahrscheinlich perfekt ausgerüsteten Fahrzeuge herum, ich überlege mir sehr gut, was ich tue, und habe immer einen "Plan B", meistens auch einen "Plan C". Deshalb stimmt das so nicht, für mich ist ein "Abenteurer" immer etwas Negatives, vielleicht sogar ein Schwachkopf, der sich in Gefahr begibt, ohne darüber nachzudenken - wenn es gut ausgeht war es ein Abenteuer, wenn es schlecht ausgeht, ein Unglück.
Unsere Umsiedlung nach Kairo war und ist kein Abenteurertum, wir leben hierzulande schließlich in einem Sozialstaat: Wenn ich zurückkomme und keinen Cent mehr haben sollte, bekomme ich Sozialhilfe, wo ist da das Abenteuer, das wirkliche Risiko? Ich bin sicherlich bereit, etwas mehr zu riskieren als Otto Normalverbraucher, aber als Abenteurer würde ich mich deshalb noch nicht bezeichnen.
EM: Könntest du dir vorstellen, dass du in 10 Jahren immer noch unten bist?
FM: Nein, wir werden in zwei Jahren zurückkehren und meine Frau wird sich um ihre berufliche Karriere kümmern. Sie wird ihr zweites Staatsexamen machen, das sie braucht, um eine "echte" Lehrerin zu werden.
Das Vorhaben hat im Jahr 2011 Priorität. Das wird dann ca. zwei, maximal drei Jahre dauern und dann kann es sehr gut sein, dass wir wieder ins Ausland gehen.
Meine Frau kann dann als ADLK tätig werden (Anm. der Red.: Auslandsdienstlehrkraft), als "entsandte" Lehrerin, und bekommt dann anstatt z.B. 2.500 EUR eher 7.500 EUR, und das macht dann sicherlich noch wesentlich mehr Laune.
EM: Würde es dich dann wieder in diese Gegenden ziehen?
FM: Nicht unbedingt. Ich würde sicherlich z.B. auch ohne weiteres einmal nach Südamerika gehen für eine Weile. Kairo sicher nicht mehr, aber in ein anderes arabisches Land schon. Sehr gerne würde ich z.B. nach Damaskus gehen, wenn es dort eine deutsche Schule gäbe, aber leider gibt es da keine. In Regionen wie Skandinavien würde ich nicht gehen, ich bin kein "Kaltregionen"-Mensch, ich friere nicht gerne ...
EM: Glaubst du noch mal an eine Zukunft für euch in Deutschland?
FM: Ja sicher, wenn ich alt werde, ist es in Deutschland sicher besser, aber ganz bestimmt nicht in einer Stadt oder einem größeren Ort. Dann eher auf einem Einödhof, wo ich die Art und die Menge von Leuten, mit denen ich dort zu tun habe, eher steuern kann.
EM: Ist TYPO3 immer noch Job-Hauptbestandteil, hattest du davor schon mit IT zu tun?
FM: Ich war viele Jahre in einer kleinen Messtechnik-Firma tätig und habe einige Jahre an der TU Roboter gebaut. Ich verdiene mein Brot in Kairo immer noch mit TYPO3, so ein Content-Management System ist einfach genial zum Design, da fällt auch für meine privaten Webseiten einiges ab. Es ist zwar manchmal ein Sch...programm, aber es ist einfach das mächtigste und verbreitetste, die Schule arbeitet damit und ich muss halt damit leben.
EM: Was macht dein Arabisch?
FM: Ich gebe zu, das ist ein Trauerspiel. Ich bin leider sprachlich untalentiert und wir haben dafür einfach aus Zeitgründen im ersten Jahr keine Möglichkeiten gefunden. Kurse belege ich nicht, das schauen wir uns jetzt im zweiten Jahr aber noch einmal an. Ich habe mir allerdings an der Schule insofern einen guten Ruf erworben, als dass es mir gelungen ist, auch mit den arabischen Lehrern wirklich zu kommunizieren. Nicht auf Englisch, sondern mit Händen und Füßen, mit allem Möglichen. Das Geheimnis ist, dass ich mich nicht über die Araber irgendwie erhebe, sondern sie als gleichwertige Menschen betrachte, da habe ich erheblich weniger Probleme als manch anderer mit perfekten Arabischkenntnissen.
Kleine Anekdote dazu: Der libysche Polizist, mit dem wir durch Libyen gefahren sind, war ein Mensch, der ausschließlich nur arabisch sprach, ich dagegen zu der Zeit hundertprozent kein Arabisch. Wir haben uns mit den Leuten ein wenig angefreundet, mit dem Führer, dem Fahrer und dem Polizisten und das war schon eine Verbindung, wie man sie nur selten findet. Ganz egal was unterwegs passiert ist oder was für Probleme auftauchten, wir mussten nur drei Blicke austauschen und es war völlig klar, wer was tun sollte. Es ging ohne den Hauch einer verbalen Verständigung, es geht so vieles nonverbal, das wird immer unterschätzt.
Meine Frau spricht sehr gut englisch und gut französisch, und auf Tour hat sie in allen möglichen Reisesituationen immer versucht, verbal herauszufinden, was irgend jemand von uns wollte. Ich war aber sehr oft schneller beim Kapieren, um was es tatsächlich ging. Der Vorteil auch: Was jemand sagt, muss noch lange nicht das sein, was er auch meint. Ich bekomme da fast eher raus, was jemand meint, weil ich mit dem, was er sagt, überhaupt nichts anfangen kann. Unsere Mischung - meine Frau mit guten Sprachkenntnissen und ich mit meiner Intuition - die ist perfekt.
Arabisch braucht man im übrigen hauptsächlich in den ehemals anglophonen Gebieten, wo Englisch nur von der gehobenen Bildungsschicht gesprochen wird, in den frankophonen Saharagebieten spricht dagegen der lausigste Hirtenjunge perfekt Französisch.
EM: Ist die Familie noch gern in Kairo oder haben sie Heimweh?
FM: Das zeigt sich derzeit gespalten: Meine Kinder lieben die Schule, die hat auch eine sehr gute Ausstrahlung. Ansonsten gibt es natürlich in Kairo die Unfreiheit, dass die Kinder einfach nicht allein auf die Straße können, weil es lebensgefährlich ist wegen des Straßenverkehrs.
Bei meiner älteren Tochter kommt hinzu, dass sie inzwischen 16 Jahre alt und in der Pubertät ist, die kann man einfach nirgendwo allein hin lassen in Kairo. Das ist halt leider diese "verbogene" arabische Moral.
Heimweh hat glaube ich keiner, richtig spannend wird es natürlich, wenn wir wieder in Kairo zurück sind. Da werde ich dann natürlich auch etwas dazu schreiben, wie wir Deutschland diesmal wahrgenommen haben.
EM: Was unterrichtet deine Frau? Ist sie zufrieden dort? Die Kinder auch noch? Lernen sie Arabisch?
FM: Meine Frau unterrichtet Biologie und Chemie, sie ist beruflich sehr zufrieden und das Kollegium ist wirklich nett, insbesondere in ihrer Fachschaft Biologie und Chemie.
Sie lernt dort auch noch sehr viel in Didaktik und Pädagogik und was ihr natürlich auch Spaß macht, ist, dass sie ein besseres Händchen dafür hat, mit den arabischen Kindern umzugehen, als die meisten anderen Lehrer. Es sind 80-85% arabische Kinder an der Schule, und meine Frau hat wie ich keine Probleme mit Arabern, sie kann mit ihnen gut umgehen und kommunizieren. Die Unterrichtssprache an der Schule ist Deutsch, d.h. jeder Araber, der an dieser Schule ist, spricht mehr oder weniger gut Deutsch. 90% der arabischen Schüler sind seit ihrer Kindergartenzeit an dieser Schule und haben dort Deutsch gelernt.
Meine Kinder lernen Arabisch, mein Sohn hat es innerhalb des letzten Jahres fast perfekt gelernt. Er ist 13 Jahre alt und spricht und schreibt mittlerweile arabisch, er ist allerdings auch sehr sprachbegabt. Meine Töchter sind eher naturwissenschaftlich begabt, mein Sohn hat damit weniger am Hut. In Bezug auf Deutsch muss ich mittlerweile allerdings schon ein bisschen aufpassen, weil sie anfangen, grammatikalische Fehler zu machen.
EM: Du erwähntest in deinem Bericht die Eigenarten der Ägypter, die uns nicht so sympathisch erscheinen: Egoismus, Clan-Bezogenheit etc., wie kann man mit diesen Menschen zusammen leben?
FM: Selbstverständlich kann man mit diesen Menschen zusammen leben, schließlich sind das keine Charaktereigenschaften, die uns in Deutschland fremd sind.
Es gibt halt bei den Ägyptern in Kairo andere Schwerpunkte, wie z.B. die Clan-Bezogenheit. Weiterhin erlebe ich in Kairo einen sehr starken Egoismus, was ich aber nicht unbedingt als arabische Eigenart bezeichnen würde, sondern mehr als Entwicklung in einer Metropole mit 27 Millionen Einwohnern. Es ist wie überall woanders auch, uns laufen in Kairo sehr nette und sympathische Menschen über den Weg und natürlich auch, mit Verlaub gesagt, A.........., die gibt es dort wie hier.
Wenn ich allerdings gut drauf bin, macht mir der Umgang mit den Arabern mehr Spaß als der hier mit meinen Landsleuten, es ist meistens ganz einfach netter. Man darf natürlich aber nicht vergessen, dass die Kontakte oberflächlicher sein können, wir haben schließlich elementar verschiedene Kulturen und bis ein Araber uns tiefe Einblicke in seine Gefühlswelt gibt, wird schon viel Zeit und Wasser den Nil heruntergehen müssen.
Zusätzliche Einblicke bekommen wir über die Kinder, die natürlich auch arabische Freundschaften haben und darüber bekommen wir schon tiefe Einblicke in die jeweiligen Familienverhältnisse.
Islam und Islamismus ist dabei überhaupt kein Thema, das wird bei uns hochstilisiert und hochgepuscht in einer Art und Weise, die ich nicht nachvollziehen kann.
Das mit den bösen Arabern ist völliger Unfug, 99,9% von ihnen wollen in Frieden leben und sich um ihre Familien kümmern, ihr Geld verdienen und weder Stress noch sonst was haben.
Die Sensationsgier der Medien, die von Auflagen und Einschaltquoten leben, spielt dabei wohl eine große Rolle.
Es gibt natürlich aber auch in Ägypten extreme islamische Gruppierungen, die einen Kleinkrieg gegen den ägyptischen Staat führen und die setzen dann am Tourismus an, weil das die empfindlichste Stelle des Staates ist. Die Kriminalitätsrate ist in Kairo extrem gering, man kann fast überall sein Auto offen stehen lassen, es wird mit Sicherheit nichts gestohlen.
Die paar Vorfälle in den Touristenzentren sind bedauerlich, aber betreffen mich weniger, denn dort bin ich nicht. Dort sind Touristen; Menschen die dort leben, halten sich eben in anderen Ecken auf. Ich fühle mich in Kairo kein bisschen weniger sicher als in München, im Bahnhofsviertel hier wäre ich vermutlich aufmerksamer, als ich es in Kairo bin.
EM: Was macht die Familie während der Tage in Deutschland?
FM: Na ja, ich buckle hier natürlich wie S.. (), das wird auch leider nicht abreißen, bis wir wieder abfahren. Meine Familie kann es etwas ruhiger angehen lassen, die Kinder besuchen ihre Freunde, meine Frau unterstützt mich mit viel Organisatorischem, was hier natürlich auch gemacht werden muss. Also richtig Urlaub ist es nicht!
EM: Geht es direkt nach dem UNIMURR-Treffen wieder zurück?
FM: Nein, nach dem Treffen geht es noch nicht direkt wieder zurück, wir bleiben noch eine Woche länger. Die Zeit brauche ich aber dringend, um noch einige Kleinigkeiten zu erledigen und auch die Wartung am Unimog zu machen.
EM: Mit welchen Gefühlen fährst du übernächste Woche die ganze Strecke wieder zurück?
FM: Das kann ich jetzt noch nicht beantworten. Dem werde ich in Kairo nachspüren, wie es uns hier ging, wenn dort wieder etwas Ruhe eingekehrt ist. Es wird dann einen Bericht geben über unsere Erfahrungen in Deutschland und unsere Wahrnehmungen und Befindlichkeiten ...
EM: Vielen Dank für das Gespräch, Franz, und Gruß an die Runde beim UNIMURR-Treffen!
(EM: Explorer Magazin, FM: Franz Murr)
© 2009 Explorer Magazin
1. Nachtrag, September ´09: Es geht weiter - wieder zurück in Kairo ...
Franz Murr ist inzwischen wieder in seine "Wahlheimat" zurückgekehrt und berichtet weiter - lesenswert wie immer. Die fortlaufende Aktualisierung der Berichte kann auf seiner Webseite verfolgt werden, wo es weiter geht nach der Rückkehr aus Deutschland!
2. Nachtrag, September ´12: Trauer - Franz Murr verstorben
Mit großer Betroffenheit haben wir soeben die Nachricht von Petra Murr vernommen. Der Afrikakenner, Unimog-Reisende, Autor des inzwischen berühmt gewordenen Kairo-Berichtes und unser obiger Interview-Partner, Franz Murr ("Unimurr") ist nach langer Krankheit verstorben. Unser Beileid gilt seiner ganzen Familie ...
Montag, 10. September 2012, 20:39
Eine sehr traurige Nachricht
Liebe Unimurristi,
Ihr alle wisst, dass Franz sehr krank war.
Er ist in der Nacht von Freitag auf Samstag friedlich eingeschlafen. Sein Herz
hat einfach aufgehört zu schlagen.
Wir haben uns im Krankenhaus von ihm verabschiedet und er sah wirklich friedlich
aus.
"Der Mensch geht, die Liebe bleibt."