Und weiter geht´s im Tagebau ...
Das Wetter an diesem verlängerten Wochenende ist traumhaft, abends können wir lange draußen sitzen und fachsimpeln, morgens wecken mich die Rufe von Kranichen in der Ferne und von einem Wiedehopf ganz nah am Platz. Ohne meinen Hund Kasper, der zu Hause bleiben musste, komme ich mir fast ein wenig deplaziert vor, wenn ich in der Morgensonne spazieren gehe und ihre Strahlen im Gras auf mich wirken lasse. Nach dem Frühstück müssen wir aber schnell weiter, die Pferde stehen aufgereiht am Straßenrand und scharren schon mit den Hufen ...
Am Bahnhof von Welzow sammeln wir uns zu einem kurzen "briefing" und Oliver erklärt die Region des aktuellen Tagebaus Welzow sowie unsere heutige Tour, die uns mitten ins Herz des Kohleabbaus und an die derzeitige Abbaugrenze führen soll. Dann fahren wir hinter ihm her zu den öffentlich zugänglichen Aussichtspunkten und später durch mehrere Absperrungen weiter ins Innere des Reviers.
Vorbei an riesigen Maschinen, die am heutigen Samstag nicht in Betrieb sind und durch eine Landschaft, die man mitten in Deutschland niemals vermuten würde, geht es immer tiefer hinunter, bis wir vor einer Rampe ins unterste Loch stehen bleiben und umsteigen müssen.
Dort hinunter soll der ganze Pulk aus bergpolizeilichen Gründen nicht fahren und so kuscheln wir uns in zwei Fahrzeugen zusammen: Der Volvo C304 6x6 von Uli, ein geniales Teil in schwerem Gelände, erweist sich als optimaler Truppentransporter und bietet 15 Personen recht bequem Platz - leider ohne vorschriftsmäßige Sicherheitsgurte für alle 14 Fahrgäste, das muss man schon einmal deutlich kritisieren!
Unten angekommen staunen wir nicht schlecht über das 13 Meter hohe Braunkohlenflöz, das sich direkt vor uns aufbaut und nur deshalb nicht weiter abgebaut werden kann, weil die Stadt Welzow nördlich davon in geringer Entfernung darauf steht und bisher noch nicht geräumt werden konnte. Die Braunkohle, die hier liegt, sieht eher wie Holzkohle aus, ganz anders als die Steinkohle des Ruhrgebietes oder die oberbayrische Pechkohle. Man muss sie wegen des hohen Wassergehalts erst energieaufwändig trocknen und zu Staub mahlen, damit die Brennöfen der Kraftwerke optimal beschickt werden können. Etwa ein Drittel des Energiegewinns wird benötigt für Förderung und Trocknung ...
Oliver referiert einiges zur Entstehung der Kohleflöze vor 15 bis 20 Millionen Jahren aus riesigen Torfmooren und erklärt die moderne Abbaumethode mit den gigantischen Schaufelbaggern und dem aufwändigen Handling der Sandmassen. Die 20 bis 30 Meter hohe Deckschicht aus angewehtem Nordseesand muss erst weggeschoben und beiseite gelegt werden. Nach Entnahme der Kohle kommt sie wieder in das Bauloch und wird bis zur vorherigen Höhe aufgefüllt. Der Volumenverlust durch die entnommene Kohle wandert größer und größer werdend weiter mit der Förderlinie und bleibt zum Schluss als riesiges Loch zurück, das sich mit Regenwasser füllt und in 20 Jahren ein schöner See werden soll.
Wir wenden uns wieder dem Gelände zu und finden auf diesen ganz frisch bearbeiteten Flächen interessante Ausblicke und sandige Herausforderungen: Der Hügel dort sieht aus wie eine Weichsanddüne in der Sahara und fährt sich auch so. Bergauf ist es mangels Traktion für unsere Boliden unmöglich, sie würden sich bis zur Achse eingraben und keinen Meter gewinnen. Nur der Volvo 6x6 kommt über eine ähnliche Stelle ohne Schwung hinüber: Mit sechs zwar durchdrehenden, aber doch langsam Vortrieb schaffenden Rädern ...
Hübsch zum Schauen und zum Fahren sind diese Felder mit frisch abgeladenen Sandhaufen, die später einmal von Monster-Planierraupen zu Kulturland eingeebnet werden sollen. Die Häufchen hat der riesige Absetzkran im Hintergrund gemacht, der mit einem schnellen Förderband beschickt und über die am Boden liegende 30.000 Volt Stromleitung angetrieben wird. Berühren nicht empfohlen!
Auf der Weiterfahrt über eine schon planierte Ebene hören wir plötzlich über Funk eine Frauenstimme: "Wir hängen irgendwie fest." Und wenige Sekunden später ihre Einschätzung: "Oh, das sieht böse aus." Beim Näherkommen fällt uns schon die verdächtige Seitenneigung des 5-Tonner-Wohnmobils auf und dann sehen wir das Malheur: Bis zur Unterkante des Aufbaus hat sich der Iveco mit dem rechten Hinterrad eingegraben. Allein unterwegs möchte ich so etwas nicht erleben, aber hier, mit vielen Helfern, Zugfahrzeugen und Bergematerial ist das eher ein Vergnügen für alle Beteiligten!
Schnell sind ein paar Schaufler zur Stelle und legen die rechte Unterseite frei. Mühsam ist nur, den Unterfahrschutz hinten von dem zähen Lehm zu befreien, der sich unter der scheinbar tragfähigen Bodenschicht versteckt hatte und plötzlich zupackte. Eines meiner beiden Waffle Boards vor das freigeschaufelte Hinterrad gelegt, vorne mit einem kinetischen Bergeseil den Volvo drangehängt und mit "Schmackes" in das noch ungespannte Seil fahren lassen: Schon ist der Iveco wieder frei. Solche Bergeaktionen sind Spitze. Das Risiko ist relativ gering und man lernt viel für einen eventuellen Ernstfall später. Und schöne Actionbilder mit nach Hause nehmen kann man auch noch ...
Langsam neigt sich unser abwechslungsreicher Fahrtag dem Ende zu, doch die letzte Steilkurve bietet noch einmal ungeahnte technische Schwierigkeiten und hätte beinahe zu einem Desaster geführt: Unser Guide Oliver kennt diese Kurve wohl schon von früheren Führungen und mahnt zur Vorsicht. Doch im Gegensatz zu den üblicherweise hier entlang geführten Geländewagen haben unsere schweren und großen Fahrzeuge einen größeren Wendekreis und deutlich höheren Schwerpunkt. Dies erfordert manchmal eine etwas andere Fahrtechnik, wie sich besonders hier zeigt.
Auf dem ersten Bild unten sieht man den Bremach von Erich oben an der Linkskurve stehen. Er merkt rechtzeitig, dass er die Kurve zu eng angefahren hat und stößt noch einmal zurück. Danach geht es für ihn ganz leicht weiter. Das kann ich als übernächster in der Kolonne gut beobachten und bitte meinen Beifahrer, mich einzuweisen, damit ich diese Kurve im maximalen Radius anfahre und dann trotz großem Wendekreis gut herum komme. Keine Probleme!
Aber dann sehen wir von unten, wie hinter uns fahrende Ivecos, so wie der von Andreas mit der Ladepritsche, Probleme bekommen, weil sie den engen Kurvenradius nicht schaffen - ich vermute, weil sie am Kurveneingang nicht weit genug ausgeholt haben. Andreas macht es richtig und bleibt in der Rinne rechts neben der Spur - kein Problem für einen leichten und niedrigen LKW. Aber der nachfolgende Iveco, ein 5,5 Tonnen schweres und hoch aufbauendes Wohnmobil, ist nicht so leicht zu steuern und gleitet ebenfalls in den kleinen Graben. Dabei macht der Fahrer einen Fahrfehler, den man in solchen kippgefährlichen Situationen ganz unwillkührlich macht: er lenkt nicht in die Kipprichtung nach unten, sondern gegen die Kipprichtung nach oben und es fehlt nicht wirklich viel zum Umfallen. Das linke Vorderrad ist schon in der Luft und der Aufbau schwankt. Es geht natürlich gut aus und wir alle, aber besonders der Lenker des Iveco, hat etwas Wichtiges gelernt bei dieser Aktion ...
Der Stress ist vorbei, so glauben wir, denn nun geht es über leichtes Gelände dem Übernachtungsplatz entgegen. Aber besonders waagerecht sind auch die letzten Meter der Piste nicht und wenn sich der schmale und hohe Gwenn seitlich neigt, meint man immer, jetzt fällt er gleich um. Aber das täuscht, oben rum ist das Gefährt sehr leicht und unbeladen ...
Schlussakkord: An der Krabat-Mühle kehren wir ein, nehmen ein vom Veranstalter organisiertes Abendessen ein und diskutieren noch lange über die Erlebnisse der letzten beiden Tage. Auch mit Reto und Gaby, die ihren Bremach wegen Lenkungsschaden stehen lassen mussten, gibt es ein herzliches Wiedersehen. Dann werden wir von einer Frau in sorbischer Tracht durch die Anlage geführt und erfahren von ihr allerlei Wissenswertes über die Sorben, eine slawische Minderheit in Deutschland, und auch über die Mühle, eine Art Heimatmuseum zum Thema der inzwischen verfilmten Romanfigur Krabat und seinem bösen Meister, dem Schwarzen Müller ...
Auch
Originalrequisiten aus dem Film sind hier eingebaut und unsere Führerin
erzählt über ihre sorbischen Landsleute in der Region und die Pflege
ihrer Sprache und Traditionen. Ein schöner und niveauvoller Ausklang
dieses Wochenendes voller Abenteuer ..!
@ 2016 Sepp Reithmeier. Fotos: Etwa ein Drittel der Bilder stammen von MarcusH, dem "Salzburger Ritter", von Uli, dem "Volvopiloten", von Ralph, dem "Fotoreisenden" und von Erich bzw. seiner aus den Beskiden stammenden Grayzna
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Sepp finden sich in unserer Autorenübersicht!