Mit "unterwegs" -
Es hätte alles auch ganz anders kommen können ...
2020: CargoLifter geht in der Nordsee verloren
Als wir anlässlich der bevorstehenden CargoLifter-Pleite im Mai 2002 noch einmal alte Beiträge aus dem CargoLifter-Forum durchsahen, fanden wir verschiedene Geschichten, die von offenbar visionären Board-Teilnehmern stammten. Einer von ihnen ist z.B. der Anonymus KEHINDE, aber solche Autoren in solchen Foren werden hoffentlich kein Copyright geltend machen, oder etwa doch ..?
Wie dem auch sei, da auch die von uns immer hoch geschätzte Zeitschrift Pilot und Flugzeug diese Geschichte mittlerweile veröffentlicht hat (Man erinnere sich: Immerhin unser "Schwestermagazin", wie einst im CargoLifter-Forum behauptet wurde! ), wollen auch wir hiermit an den visionären Autor und an einen seiner Beiträge erinnern, der zeigte, dass alles auch ganz anders hätte kommen können - wenn denn die liquiden Mittel dieser Firma nur gereicht hätten - so ca. bis zum Jahr 2020 ...
Briesen Brand, im November 2020
Stimmung bei CargoLifter gedrückt
CargoLifter befindet sich in der Auflösung, 20 Jahre nach dem mit viel Hoffnung begonnenen Programmstart stehen die Mitarbeiter, das Management und die Finanziers vor den Scherben. Was ist passiert?
Hier ein Rückblick:
Noch auf der Hauptversammlung im März 2001 ging man davon aus, im Jahre 2005 das Luftschiff fertig zu haben, obwohl Experten immer vorausgesagt hatten, dass das Zulassungsprocedere ungemein viel Zeit beanspruchen wird.
So kam es:
2.000 Stunden Flugerprobung, signifikante Änderungen am Treibstoffsystem, am Blitzschutz, an den Antennenstandorten verzögerten die Arbeiten. Allein zwei Jahre kostete ein fast komplettes Redesign, weil man sich bei der Bestimmung des Schwerpunktes um 110 Zentimeter verrechnet hatte, was ein kopflastiges Moment von nicht kompensierbaren 176.000 mkg bedeutete: Der gesamte Lastrahmen musste um 110 Zentimeter nach hinten versetzt werden. Enorm schwierig gestalteten sich auch die Nachweise der Krafteinleitung in die Hülle unter Annahme dynamischer Lasten, das Luftfahrt-Bundesamt bestand auf dem Faktor 3,2: Die Krafteinleitung musste damit also nicht 160 Tonnen, sondern 512 Tonnen ertragen, bevor Längungen der Bänder eintreten, gar 880 Tonnen (Faktor 5.5) bevor es zum Bruch kam.
Obwohl das gesamte Projekt mittlerweile statt veranschlagter 1,12 Milliarden respektable 7,8 Milliarden verschlungen hat, steht immer noch die Zulassung für den Betrieb nach Instrumentenflugregeln aus, wie natürlich jene für den Betrieb in bekannten Vereisungsbedingungen ...
Obwohl auch der von der russischen Firma Antonov entwickelte Autopilot nicht zugelassen ist, da der Hersteller Antonov bis heute kein anerkannter europäischer Entwicklungsbetrieb ist, erteilte das Luftfahrt-Bundesamt offensichtlich auch auf politischen Druck eine befristete Verkehrszulassung mit den Auflagen, die Crew wegen des inoperativen Autopiloten von 24 Mann auf 48 zu verdoppeln. Außerdem ist nur der Betrieb im Luftraum der Bundesrepublik erlaubt, da Einfluggenehmigungen anderer Länder derzeit nicht vorliegen.
Die Firma ABB in Mannheim, dem Projekt CargoLifter seit Beginn eng verbunden, erteilte den ersten Auftrag: Eine Kraftwerkturbine samt Fundament, Bestimmungsort knapp nördlich der norwegischen Stadt Stavanger, soll von CargoLifter in Mannheim aufgenommen werden, um in den Hamburger Hafen zwecks Verladung in ein Schiff transportiert zu werden. Der alternative Transport Straße - Schiene - Schiff - Straße hätte ungefähr 3 Wochen gedauert und 4 Millionen gekostet. Derartige Turbinen von ABB sind - natürlich - derart konstruiert, dass sie in "handliche Einzelteile" zerlegt werden können, was sich auch hier als außerordentlich hilfreich erwies, besser: Als unumgänglich.
Denn der erste kleine Praxistest des CargoLifter zeigt die Probleme:
Natürlich ist es unmöglich, über bebautem Gebiet, in der Nähe von Hindernissen wie Industrieschornsteinen und Bürohochhäusern, ein 550 Tonnen schweres Luftschiff über Stunden zu verankern - weder die Luftfahrtbehörden noch die kommunalen Ordnungsämter hätten das je genehmigt. Hier die Chronologie aus dem Jahr 2020:
15. Januar
Der Transportauftrag erreicht CargoLifter am 15. Januar 2020. Mit Elan macht sich die CL-Crew an die Arbeit: Zunächst ist der Lastaufnahmeplatz zu präparieren. Für rund 250.000,- Euro pachtet man für 3 Monate ein etwa 10 Hektar großes Brachgelände, nicht weit von ABB. Bestandteil des Pachtvertrags ist die Genehmigung, je vier Verankerungsfundamente zu rund 20 Tonnen Beton einzubringen, um den Lastrahmen zu verspannen, wie es das patentierte Lastaufnahmeverfahren CargoLifters vorsieht. Diese Fundamente werden so angelegt, dass das Luftschiff im verankerten Zustand in der örtlichen Hauptwindrichtung von 225° stationär stehen wird.
2. März
Die Anlage der Fundamente verschlang weitere 1,25 Millionen Euro und dauerte wegen des Frostes bis zum 2. März, für rund 250.000,- Euro wurden die enorm starken Winden geliefert und mit den Fundamenten verschraubt.
15. März
Der Pachtvertrag für das Lastaufnahmegelände muss verlängert werden, weitere drei Monate (bis zum 15. Juni) verschlingen 375.000,- Euro, da der Verpächter genau weiß um die Zwangslage von CargoLifter.
15. April
Leider dauert es bis zum 15. April, bis die Zuwegung von der ABB-Fertigung bis zum Aufnahmeplatz der Lasten fertiggestellt wird. Die Kosten: 6,5 Millionen Euro. Zu Recht reklamiert zu diesem Zeitpunkt der konventionell arbeitende Spediteur, die Fracht bereits vor einem Monat in Norwegen angeliefert zu haben, das zum Preis von jenen 2 Millionen, während CargoLifter mittlerweile ein Vielfaches, nämlich 8,5 Millionen verbraten hat.
16. April
Das Datum der Lastaufnahme in Mannheim wird für den 21. April terminiert. In Brand wird das Luftschiff CL 169 präpariert: Man rechnet mit 6 Stunden Marschfahrt nach Mannheim, 6 Stunden Manöver am Lastaufnahmeplatz, 10 Stunden Marschfahrt nach Hamburg und anschließend 5 Stunden Marschfahrt zurück nach Brand. Inklusive kleiner Reserven werden für die 8 GE-Triebwerke á 2.000 kw 111 Tonnen Sprit gebunkert, 64 Tonnen für die Marschfahrt, 22 Tonnen für die Manövrierarbeit und 30% Reserve.
20. April
In Mannheim werden die Bodenmannschaften samt Transportgerät bereitgestellt. Kosten pro Tag: 7.500,- Euro.
21. April
In Brand herrschen böige Winde aus 220°: Aushallen des Luftschiffs unmöglich, entscheidet der Kommandant Bäklin.
23. April
In Brand herrscht Windstille, einbrechende Warmluft sorgt für Bodennebel: Start unmöglich, Kommandant Bäklin entscheidet aber, auszuhallen und ordnet Verbringung an den Mast an. Die Mannschaft geht an Bord und ist bereit.
25. April
Das Wetter in Brand klart auf, der Start ist möglich. Der Thüringer Wald, Harz, der Taunus und Odenwald melden aber Untergrenzen von 200 Fuß, die Berge in Wolken: Die Fahrt nach Mannheim nach Sichtflugregeln nicht möglich. Täglich laufen die Kosten: In Brand für die Mannschaft ungefähr 8.000,- Euro, in Mannheim pro Tag 7.500,- Euro, also insgesamt 15.500,- Euro nur für die tägliche Bereitstellung. Seit dem 20. April sind so schon weitere 78.000,- Euro verloren.
29. April
Die Wettervorhersage erlaubt den Flug nach Mannheim: Eine Kaltfront überquerte Deutschland in der Nacht, herrliches Rückseitenwetter mit aufgelockerter Bewölkung, hervorragenden Sichten bieten tolle VFR-Konditionen, allerdings bei bockigen Winden aus 270° mit bis zu 15 kts. CargoLifter fährt los unter dem Jubel der Mitarbeiter!
29. April
CargoLifter erreicht gegen 14 Uhr Lokalzeit das Einsatzgebiet. Kommandant Bäklin versucht, das Luftschiff derart zu positionieren, dass der Lastrahmen an den Bodenfundamenten verankert werden kann. Zehntausende von Menschen flüchten aus der Peripherie des Aufnahmeplatzes aus Wohnhäusern, Produktionsstätten und Büros. Der Grund: Das Luftschiff, dessen acht 2000 kw-Motoren bei diesen Manövern einen unvorstellbaren Lärm von etwa 134 dB(A) verursachen. Nach etwa 30 Minuten Manöver steht fest: Der Lastaufnahmeplatz ist auf die örtliche Hauptwindrichtung von 225° ausgelegt, der aktuelle Wind beträgt aber 270° bei 15 kts (28 km/h): Unmöglich, das Luftschiff zu verankern.
Kommandant Bäklin bricht ab und nimmt einen stationären Warteplatz im Rheintal ein, was die Menschen im Bereich Mannheim/Ludwigshafen erheblich beunruhigt: Das permanente Gedröhn, über Kilometer zu hören, verängstigt die Menschen.
30. April
Der Wind hat noch nicht nachgelassen. Kommandant Bäklin wird aufgefordert, das Luftschiff weiträumig zu verlegen, weil die dicht besiedelte Industrielandschaft das Halteverfahren des Luftschiffs nicht toleriert: Neben der Bevölkerung beginnen lokale Politiker massiv zu intervenieren. Bäklin entscheidet, das Rheintal nach Süden hinunterzufahren.
1. Mai
Das Wetter ist gut. Aber trotz sparsamer Fahrt sind mittlerweile 86 Tonnen Kerosin verbraucht. Kommandant Bäklin kann das Luftschiff nur noch mit höherer Fahrt, also aerodynamisch, im Gleichgewicht halten, Treibstoffaufnahme wird lebenswichtig. Die Zentrale in Brand entscheidet, auf dem Flughafen Baden-Karlsruhe zu tanken. Der Flugplatz stimmt zu, von Brand aus setzt sich eine Mast-Crew in Bewegung (rund 50 Mann), um das Luftschiff auf dem Flughafengelände zu versorgen. Für Bäklin bedeutet das fast den Notfall: Er muss das Luftschiff weitere 8 Stunden halten, schafft das nur durch Ablassen von Helium.
2. Mai
Das Luftschiff ist am Mast in Karlsruhe. Der Flugplatz ist für den Linienluftverkehr gesperrt. Tägliche Kosten von 50.000,- Euro werden CargoLifter in Rechnung gestellt. Das Luftschiff nimmt 90 Tonnen Kerosin auf. Da diese Menge am Flughafen nicht vorhanden ist, dauert die Betankung bis zum 5. Mai. Am 5. Mai trifft auch von Linde Ersatz für das notwendigerweise abgelassene Helium ein: 90.000 Kubikmeter.
10. Mai
Das Luftschiff ist wieder einsatzfähig. Es hat frühmorgens Mannheim erreicht, bei idealem Wetter wird der Lastaufnahmeplatz angeflogen, das Luftschiff verzurrt, die Ladung von 160 Tonnen eingebracht. 7 Tankwagen nehmen das Ballastwasser auf und entladen es in den Rhein.
Zwischenbemerkung:
Die Aktion dauert mittlerweile 4 Monate und hat etwa 17,5 Millionen Euro gekostet inklusive Flughafengebühren, Treibstoff und Heliumersatz.
Der zuständige Regierungspräsident von Karlsruhe reflektiert die Proteste der Bevölkerung und verbietet jede weitere CargoLifter-Operation in seinem Gebiet aufgrund der enormen Beschallung von bis zu 134 dB(A) und der offensichtlichen Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.
10. Mai
Mit einem VFR-Night-Flugplan bricht das Luftschiff auf in Richtung Hamburger Hafen. Hier liegt am Pier 23 seit dem 22. April das Frachtschiff Carli und wartet auf die Fracht nach Stavanger. Tägliche Kosten: 35.500,- Euro Hafenliegegebühren und Verdienstausfall. Die Hafenbehörde Hamburg hat eine Ausnahmegenehmigung für das Luftschiff erteilt, wobei die Landesluftfahrtbehörde für den Entladevorgang folgende Wetterminima festgelegt hat:
Sicht: 5 Kilometer oder mehr
Wolkenuntergrenze: 3.000 ft oder
mehr
Wind: maximal 5 kts aus 340°
(das ist die Ausrichtung des Kais, an dem der Frachter Carli liegt).
Die Verzurrung des Luftschiffs stellte CargoLifter über Winden sicher, die fest mit Fixpunkten des Kais verbunden sind. Kosten dieser Maßnahme: 0,2 Millionen Euro.
11. Mai
Nach einer ruhigen Fahrt unter weiträumiger Umgehung der Ballungsgebiete von Essen, Dortmund und Hannover steht CargoLifter in den Morgenstunden des 11. Mai 30 Kilometer südlich des Hamburger Hafens, Kommandant Bäklin ist im Funkkontakt mit Hamburg ATC. Die Nachtfahrt führte teilweise und natürlich illegal durch Wolken, es gab aber keine Vereisung oder sonstige Probleme. Der Lastaufnahmeort am Pier 23 ist im GPS gespeichert.
Problem nur: Hamburg hat 200 ft Untergrenze, kein Wind, also keine Hoffnung, dass der Nebel verschwindet. Bäklin nimmt einen Warteraum zwischen Hamburg und Hannover ein, wartet ab, bis es das Wetter erlaubt, seine Fracht dem Schiff Carli zu übergeben.
13. Mai
Nach 2 Tagen nervenzerfetzenden Wartens kommt die Erlösung für die CargoLifter Crew: Eine Kaltfront über der Nordsee macht dem Nebelspuk ein Ende, sorgt für knackige Sichten, allerdings auch für reichlich Wind. Bäklin steuert CL 160 zum Pier 23, der Wind bläst aus 240° mit 20 kts. Über dem Frachter angekommen steht Bäklin mit einem Winkel von 100° zum Frachter und zum Kai: Keine, absolut keine Chance, anzudocken und abzuladen.
Auf dringenden Hinweis der Landesluftfahrtbehörde wird Bäklin aufgefordert, sofort das Hafengelände zu verlassen und erst wieder einzufliegen, wenn die ATIS von Hamburg Fuhlsbüttel einen Wind von 340°/05 meldet oder weniger. Bis dahin ist jede Genehmigung, das Hafengelände zu überfliegen, versagt. Bäklin, nunmehr seit 25 Tagen an Bord des Luftschiffs, trifft die einzige, vernünftige Entscheidung: Raus auf die Nordsee. Halten in geringer Höhe, aber mit hohem Treibstoffverbrauch (ca. 2,2 Tonnen pro Stunde) gegen den Wind.
14. Mai
Keine Wetterbesserung hinsichtlich des Windes. Der Reeder des Frachters Carli kündigt nach 22 Tagen Liegezeit den Vertrag, da finanzielle Garantien seitens CargoLifter ausbleiben, die angelaufenen 0,8 Millionen Euro Hafen- und Ausfallgebühren nicht bezahlt sind.
15. Mai
Das Luftschiff CL 160 steht mit seiner Fracht an Bord 30 Meilen nördlich von Norderney und hat keine Alternative mehr: Der Hamburger Hafen ist geschlossen aufgrund meteorologischer Fakten. Das Ziel-Frachtschiff ist ausgelaufen. Der Treibstoff geht zuende.
Von Brand kommt die Order: Luftschiff aufgeben. Bäklin öffnet die Heliumventile. Sanft sackt das Luftschiff in die Nordsee. Alle Besatzungsmitglieder werden gerettet. Die Fracht versinkt auf den Meeresboden. Der erste Einsatz des CargoLifter hat damit geschätzt 125 Millionen Euro gekostet. Einen zweiten Einsatz wird es nicht geben.
Anm. der Redaktion: Wie wir seit Mai/Juni 2002 nun genauer wissen, wird es wohl auch niemals einen ersten Einsatz geben ...