Schweden 98:

Flucht vor dem Alltag


Im Winter 1996/97 erwarb ich eher spontan ein neues GFK-Kanu und erntete angesichts der saisonalen Wetterlage viel Spott, für welchen ich allerdings im darauffolgenden Sommer reich entschädigt werden sollte.

Zusammen mit Thomas, einem Freund, plante ich eine Kanutour in Schweden. Starten wollten wir in Bengtsfors, den Svärdlangen hoch nach Gustavsfors, dann durch den wunderschönen Dalslandkanal in Richtung Skapafors, um von dort durch sieben kleine Schleusen zurück nach Bengtsfors zu gelangen.

Am 02.06.1997 war es soweit! Wir fuhren in Kiel auf die Fähre und acht Stunden später waren wir in Göteborg, weitere zwei Stunden später dann endlich in Bengtsfors.

Dort angekommen, suchten wir einen Campingplatz auf, welcher uns von einem Freund empfohlen wurde. Dort konnten wir mit dem Wagen bis ans Wasser fahren und auch eine Kanuwanderkarte erwerben, auf der Rastplätze und Wetterschutzhütten verzeichnet waren. Das Auto durften wir kostenlos auf dem Parkplatz abstellen. Das Abenteuer konnte beginnen ...

Kaum eine halbe Stunde gerudert, hatten wir die Zivilisation hinter uns gelassen und bewegten uns gemächlich dahin. Die absolute Stille, nur durch das Plätschern des Wassers untermalt, war wie Balsam für die Seele. Jedes Wort wirkte jetzt wie ein Paukenschlag.

... mein Kanu "Nightcap". Es ist unvorstellbar, was man alles in so einem 3er Kanu unterbringen kann.
Im Hintergrund der See, an dem unsere 14tägige Tour begann ...

So ruderten wir der Insel entgegen, die wir uns als erstes Nachtlager ausgesucht hatten und freuten uns wie Kinder auf ein zünftiges Lagerfeuer. Leider wurde dieser Plan jäh durchkreuzt, denn auf der Insel rastete bereits eine zwanzigköpfige schwedische Jugendgruppe.

Als wir unser Zelt errichtet hatten, suchten wir ein gemütliches Plätzchen auf einem Felsvorsprung, zündeten uns eine Zigarre an (wir hatten für jeden Abend zwei Zigarren dabei) und genossen den Sonnenuntergang, wie er den See, der nun wie ein Spiegel vor uns lag, blutrot färbte und in einem das Verlangen weckte, diesen Ort nie mehr zu verlassen ...

... Sonnenuntergänge wie diesen genossen wir fast jeden Abend ...

Als wir am nächsten morgen aufbrachen, war die Gruppe schon verschwunden, allerdings hinterließen sie einen Haufen Müll, den wir in einem Müllbeutel sammelten und an der Wetterschutzhütte der Insel abstellten. Er würde später von den Rangern abgeholt werden.

Die nächsten Tage verliefen ohne Probleme. Das Wetter war super, hin und wieder hatten wir ein wenig Wellengang. Gutgelaunt und braungebrannt erreichten wir Gustavsfors, ein kleines Fischerdorf. Hier konnten wir unsere Vorräte ergänzen und zu unserer Freude gab es am Hafen eine neue Münzdusche. Nachdem wir uns die ganzen Tage nur im kalten See waschen konnten, war dies natürlich eine willkommene Abwechslung. Übrigens: An dieser Stelle möchte ich einmal dringend vor Motorbooten warnen! Wir wurden fast von einem Boot über den Haufen gefahren. Anscheinend wollte die "Granate" von Vater seinen Töchtern zeigen, wie toll er doch fahren könne. Leider haben wir ihn nie wieder gesehen, wahrscheinlich hätten wir ihm vor den Augen dieser Töchter den "Dachstuhl" poliert....

Frisch geduscht und versorgt ging unsere Reise weiter, wir hatten ein weiteres Abenteuer zu bestehen - unsere erste Schleusung!

Nachdem wir rausfanden, daß "Schleusenwärter" auf englisch "Lockkeeper" heißt, ging alles ganz schnell. Ehe wir uns versahen, befanden wir uns in der ca. 15m x 25m großen Schleuse, das Tor hinter uns schloß sich und in dem vor uns wurde eine ca. 1m x 1m große Luke geöffnet. Das Kanu war ein Spielball der Elemente, näher will ich auf die Geschichte nicht eingehen ...

Dann befuhren wir den Dalslandkanal. Links und rechts bewaldete Hänge, ab und zu mal ein typisches Holzhaus - wunderschön!

... Thomas wartet auf ruhige See.
Der Hund gehörte zu einem Bauernhof, er verbrachte den ganzen Tag bei uns ...

Am Abend liefen wir eine kleine Insel an, der eine kleine Bucht vorgelagert war. Am Morgen war der See glatt wie ein Kinderpopo - dachten wir zumindest! Als wir aus der Bucht ruderten und den offenen See vor uns hatten, glaubten wir zu träumen! Wir hatten plötzlich mit starkem Gegenwind zu kämpfen und die Wellen waren nicht selten fast einen Meter hoch. Schnell legten wir unsere Rettungswesten an, denn zum Umkehren war es zu spät, wir waren mitten drin!

Getäuscht durch die hohen Wellen wähnten wir uns einer hohen Geschwindigkeit, doch ein Blick zur Seite, an Land, holte uns in die Realität zurück. So paddelten wir fast vier Stunden, ohne eine großartige Strecke zu bewältigen, immer auf der Suche nach einer geeigneten Landzunge zum Anlegen, denn wir mußten darauf achten, immer gegen die Wellen zu rudern, ansonsten wären wir zum Kentern verurteilt gewesen.

Dann endlich gelang es uns, anzulegen. Mit letzter Kraft hoben wir das Kanu aus der Brandung, denn unser Landungsplatz bestand nur aus Felsen. Hier verharrten wir dann bis zum Dunkelwerden. Zum Glück hatte ich mein GPS dabei, denn unser derzeitiger Platz duldete keine Übernachtung. Nichts als Felsen und Ameisen. Ich bestimmte also mit dem GPS unsere augenblickliche Position und trug sie mittels des UTM-Rasters in meine Karte ein. Dann suchte ich die nächste Wetterschutzhütte, legte die Koordinaten fest und übertrug sie ins Navigationssystem.

... solche Schutzhütten gab es auf unserer Route einige. Alle waren mit Feuerstelle nebst Brennholz, Säge, Eimer und Spaten ausgestattet. Außerdem ist bei jeder Hütte ein exquisites Plumpsklo, auf dem man seinen GuMoSchi verrichten kann ...

Gegen 21 Uhr legte sich plötzlich der Wind und das Wasser lag wieder trügerisch ruhig vor uns. Wir beschlossen, die Gelegenheit zu nutzen und stachen in See. Durch die Dunkelheit war eine Navigation nach Sicht nicht möglich, also richteten wir uns ganz nach dem GPS. Nach ein paar anfänglichen Schwierigkeiten klappte es immer besser und bald machten wir "zügig" Fahrt, immer ein Auge auf das Display gerichtet und in der Hoffnung, bei der Bedienung des Gerätes nichts falsch gemacht zu haben. Doch dann, nach fast zwei Stunden Fahrt über den dunklen See, ertönte auf einmal der langersehnte Piepton, welcher anmeldete, daß sich der eingegebene Zielpunkt in ca. 100 m befinden mußte. Kurze Zeit später lagen wir völlig erschöpft in unseren Schlafsäcken.

Am darauffolgenden Tag programmierte ich unsere letzten noch zu fahrenden Waypoints ein, so daß wir im Extremfall gerüstet waren.

Am vorletzten Abend trafen wir auf einer Insel in der Nähe von Skapafors alte Bekannte wieder. Vater und Sohn, denen wir Tage zuvor beim Umtragen (ca. 1 Km) geholfen hatten. Erfreut über das Wiedersehen holte der Vater eine neue Flasche Rum aus seinem Zelt und so verbrachten wir ein paar sehr lustige Stunden am Lagerfeuer, bewaffnet mit Zigarre und leckerem Rumgrog.

Den Tag darauf ruderten wir Richtung Bengtsfors, meisterten sieben Schleusen und verbrachten die letzte Nacht auf einer kleinen Insel nahe unseres "Heimathafens".

In Bengtsfors angekommen, verstauten wir alle Sachen im Auto und stellten fest, daß das Kanu die Tour nicht ganz unbeschadet überstanden hatte. Ein kleines Loch tummelte sich im Boden, aber insgesamt ist doch alles gut verlaufen.

Abends waren wir schon wieder auf der Fähre nach Kiel, aber wir kamen uns vor wie in einer anderen Welt. So viele Menschen, Stimmen, Musik, Geräusche, überall Trubel und geschäftiges Treiben - und nirgendwo auch nur ein Lagerfeuer. - Wir wollten nur eines: Ab in´s Kanu und raus aus diesem Trubel, aber leider erwartete uns in Deutschland schon das nächste Abenteuer - Eine Woche Roskilde - Festival ..........


© Text/Bilder 1998 Christian Mundt