Die Großsegler ...
Die großen Segler an der Nordpier warten nun auf uns: Viele davon haben wir bereits in früheren Jahren in Bremerhaven, Hamburg oder Rostock besucht. Dieses Mal müssen wir uns zurückhalten, Hunde dürfen leider nicht mit an Bord. Für Loona ist genug Aufregung außerhalb der Schiffe vorhanden, denn an Land kommen viele fremde Hunde zum Kennenlernen vorbei ...
Das Bild rechts zeigt den Blick von der Nordpier zurück zur Westpier mit dem Yachthafen: Alles platzt aus den Nähten wegen der riesigen Menge von großen und kleinen Schiffe. Am linken Bildrand taucht dann auch der erste Schauer auf. Von dort sind wir gekommen, der Segler an dieser Stelle ist die niederländische Brigg Mercedes. Ein noch ziemlich neues Stahlschiff, hauptsächlich für Kurzreisen mit Geschäftsleuten ausgelegt (Anm. der Red: Von uns ebenfalls gesichtet beim Hamburger Hafengeburtstag 2015, wie auch einige der folgenden Schiffe! )
Wir erreichen als erstes Schiff die Christian Radich aus Norwegen, gefolgt von der Dar Mlodziezy aus Polen. Die blonde Dame auf dem Bild unten links befindet sich am Bug der Christian Radich: Vermutlich weil das Schiff aus dem hohen Norden kommt, ist die Dame etwas mehr bekleidet, als es sonst so bei den Bugfiguren vorkommt. Auch dieser Segler war bereits ein Filmstar: So 1958 in "Windjammer" und in den 70er Jahren in der Fernsehserie "Die Onedin Linie". Ein Herr namens Christian Radich hat den 73 m langen Segler im Jahr 1937 als Schulschiff für werdende Seeleute bauen lassen. Heutzutage macht das Schiff in den Sommermonaten auch Reisen mit zahlenden Gästen.
Die 108 m lange Dar Mlodziezy ist 1982 vom Stapel gelaufen. Der Schiffsname bedeutet etwa "Geschenk der Jugend", weil der Bug des Schiffes aus einer Spende von Schulkindern bezahlt werden konnte. Sie ist, wie viele der Segler hier, ein gern gesehener Teilnehmer bei internationalen Regatten ...
Sieht man an der Seite entlang, blickt man auf einen langen "Mastenwald", der noch entdeckt werden möchte: Vorbei geht es an der fast 115 m langen und 55 m hohen Kruzenshtern, der früheren deutschen Padua. Sie ist ein ehemaliger Flying-P-Liner, der bereits lange unter russischer Flagge weltweit segelt.
Inzwischen tummeln sich jede Menge Besucher auf den Schiffen: An den Gangways, den Zugängen an Bord, muss man sich bereits auf Wartezeiten einstellen. Die Besatzungen sind sehr damit beschäftigt, jedem Besucher einen angenehmen Aufenthalt auf ihren Schiffen zu ermöglichen.
Wir erreichen jetzt die 98 m lange norwegische Statsraad Lehmkuhl: Dieses Schiff wurde 1914 in Deutschland als Frachtschiff gebaut und diente schon als Schulschiff für die deutsche kaiserliche Marine. Im Jahr 1923 wurde der Segler dann an Herrn Statsraad Kristofer Lehmkuhl aus Norwegen verkauft, dessen Namen er bis heute hat. Zwischen den beiden Weltkriegen kam sie noch einmal in deutsche Hand, danach erneut zurück nach Norwegen und erhielt ihren damaligen und heutigen Namen zurück. Sie wird nun als Schulschiff für junge Menschen und auch noch für die norwegische Marine verwendet.
Am Himmel nimmt inzwischen ein kräftiger Schauer Anlauf, um möglichst viele der Besucher zu erfrischen ...
Nach der Statsraad Lehmkuhl sehen wir uns die russische Mir an: Sie gehört zu einer Serie von sechs Seglern, unter denen sich auch die polnische Dar Mlodziezy befindet. Die anderen Schiffe der Serie, in Polen gebaut, waren die Druzhba, die Pallada, die Nadezhda und die Khersones. Die 110 m lange Mir gehört zur Seefahrtschule in Sankt Petersburg: Ursprünglich geplant als Schulschiff für Seeleute, ist sie nun auch als Segler für zahlende Gäste und Trainees im Einsatz. Sie unternimmt Kurzreisen und hat auch schon viele lange Reisen im Kielwasser.
Vor wenigen Minuten haben sich nun endgültig die Schleusen des Himmels geöffnet: Ein kräftiger Schauer macht alles nass, was nicht schnell genug Schutz gefunden hat. Loona flüchtet schnell auf den Arm, um den Fluten am Boden zu entkommen ...
Passend zum Wetter wird auch ein Schirm angeboten: Blickt man im Regen unter diesem nach oben, hat man immer gutes Wetter - eine schöne Idee! Wir haben allerdings nur ein einziges Exemplar dieser Art Schirm gesehen. Die Niederländer gehen aber sehr gelassen mit den Schauern um. Sie unterhalten sich, kommt der Schauer, stellen sie sich schnell, aber ohne Hast irgendwo unter und unterhalten sich weiter. Ist der Schauer vorbei, gehen sie in ihrer Unterhaltung weiter, als wäre nichts geschehen. Nachahmung empfehlenswert!
Der Blick nach Westen zu den schwimmenden Pier- und Steganlagen des Hafens zeigt den Blick auf die 1937 gebaute und 70 m lange niederländische Gulden Leeuw: Sie hat ihren Liegeplatz verlassen und fährt mit Gästen bei einer langsamen Rundfahrt durch den Hafen.
Diese Praxis wird von einigen weiteren Seglern gepflegt: So können viele Menschen hier das erste Mal auf einem Großsegler mitfahren. Sehr viele sind danach mit einem ganz bestimmten Virus infiziert, denn so ein Schiff ist und bleibt eine ganz andere Welt. Die eigene Fantasie beginnt Purzelbäume zu schlagen, man wird kurzzeitig körperlicher Bestandteil des Schiffes. Spätestens jetzt wird einem bewusst, dass ein Tag hier auf der Sail eigentlich nicht ausreichend ist! Wir wandern langsam wieder zurück. Und auch die landseitige Begrenzung der Pier ist mit vielen Überraschungen versehen.
Bei der Dar Mlodziezy treffen wir auf skurrile Fahrzeuge: Loona hält lieber Abstand, hier und da kommt Qualm heraus und es zischt auch noch. Dazu sehen die Fahrer ganz seltsam aus - also besser Sicherheit suchen auf Jürgen´s Armen!
Wie wir bald wissen, gehören Fahrzeuge und Fahrer zu einer Theatergruppe, die auf der DelfSail zu Gast ist. Die Fahrer sind im alten Stil zurecht gemacht, sie sprechen kein Wort und machen seltsame Gesten und Grimassen, wenn sie sich zu Fuß oder mit ihren Fahrzeugen durch die Menschen bewegen. Die Fahrzeuge sehen aus wie "Modern Art" aus einem alten Batman-Film. Dabei sind sie sehr wendig, selbst mit den großen, schräg gestellten Rädern lassen sich enge Kurven fahren. Das Fahrzeug mit dem großen Ring hat dazu noch eine Besonderheit: Wenn der Fahrer in seine Trillerpfeife bläst, vollführt er in dem Rahmen einen Purzelbaum - einmal rundherum, um dann in Ruhe weiterzufahren. Hier hat sich technischer Erfindungsgeist austoben können ..!
Der Tag schreitet voran und wir wollen noch mehr sehen: Weiter geht es zurück zum Startpunkt, von dort wollen wir noch auf die schwimmenden Pieranlagen. Im Hafen ist es inzwischen sehr voll geworden. Loona ist nicht der einzige Hund hier, ab und zu trifft sie einen Genossen in ähnlicher Größe. Dann werden Informationen ausgetauscht, das klappt ganz ohne Sprachprobleme. Die Hunde haben uns Menschen also da wirklich etwas voraus!
Wir blicken schon einmal zum Westende des Hafens: Dort liegt auch die fast 50 m lange niederländische Swaensborgh. Der Dreimast-Toppsegelschoner wurde im Jahr 1907 in Deutschland gebaut, damals noch als Zweimast-Schoner. Er fuhr zuerst unter dem Namen Anna und überlebte alle Reisen sowie zwei Weltkriege. In den 50er Jahren wurde der Segler zum Küstenmotorschiff umgebaut. In den Folgejahren hat man das Schiff zweimal verlängert, um mehr Ladung mitnehmen zu können. Bis Ende der 80er Jahre war es in der Frachtfahrt auf Nord- und Ostsee unterwegs. 1988 wurde es schließlich von seinen neuen Eignern entdeckt und in zweijähriger Arbeit für die Beförderung von Gästen umgebaut. Das Schiff ist weltweit unterwegs und nun hier eines von vielen sehr interessanten Teilnehmern.
Inzwischen sind wir auf den schwimmenden Steganlagen angekommen: Der Laufbereich besteht hier aus Gitterrosten, also gar nicht ideal für die kleinen Pfoten von Loona. Die Hundedame muss getragen werden ...
Auf den Schwimmstegen erwartet uns das erste Schiff, die Nao Victoria. Dieser Segler ist der naturgetreue Nachbau einer spanischen Galeone (Karacke bzw. Nao) aus der Zeit um 1520, also die der großen Entdecker. Der hölzerne Segler hat eine Länge von 26 m bei einem Tiefgang von über 3 m und einer Breite von 4 m. Viel moderne Technik ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen.
Die ursprüngliche Victoria war ein Schiff der Flotte des Entdeckers Ferdinand Magellan und hat einst erheblich zum Weltgeschehen durch seine Entdeckungsreisen beigetragen.
Mit insgesamt fünf Schiffen startete Magellans Weltumseglung 1519 in Spanien und führte die Flotte zunächst an der afrikanischen Küste entlang nach Süden. Von dort wurde der Südatlantik nach Südamerika überquert. Durch einen plötzlichen Sturm ging hier das erste Schiff verloren, ein zweites Schiff der Flotte kehrte daraufhin vorzeitig nach Spanien zurück. Die letzten drei Schiffe, darunter die Victoria und die beiden übriggebliebenen Segler, fuhren weiter in den Pazifik und zu den Philippinen, wo erneut ein Schiff aufgegeben werden musste. Die beiden letzten Schiffe segelten weiter nach Indonesien und erhielten dort Ladung für die Heimreise.
Doch auch das letzte Begleitschiff der Victoria musste wegen technischer Probleme samt Ladung aufgegeben werden und sie erreichte schließlich allein durch den Indischen Ozean segelnd nach einer jahrelangen Reise wieder ihren Heimathafen Sevilla. Das Schiff brachte auch viele navigatorische Erkenntnisse für die zukünftige Seefahrt mit nach Hause. Um diesem Segler ein Denkmal zu setzen, entstand 1998 der fast identische Nachbau, der heute hier zu besichtigen ist.
Gleich gegenüber der Nao Victoria wartet die Atyla - auch ein besonderes Schiff - auf interessierte Gäste: Die Atyla ist ein Zweimast-Stagsegelschoner mit einer Länge von 31 m, einer Breite von 8 m und einem Tiefgang von 3 m. Die Mastspitzen befinden sich 25 m über der Wasseroberfläche. Das Schiff wurde zwischen 1980 und 1984 in reiner Handarbeit und auf traditionelle Weise von einer spanischen Familie gebaut. Bis heute ist das Schiff im Familienbesitz. Anfangs hatte die Atyla verschiedene Namen, doch mittlerweile segelt sie bereits seit vielen Jahren unter ihrer heutigen Bezeichnung. Die Besatzung besteht aus 4 bis 7 gelernten Seeleuten und bis zu 18 Mitsegler/Trainees können mitgenommen werden. Obwohl es sich um ein spanisches Schiff handelt, wird darauf geachtet, eine internationale Besatzung zu haben. So ist die offizielle Sprache an Bord Englisch. Die Atyla ist bekannt für ihre Gastfreundschaft und Freundlichkeit. Wir schaffen allerdings nur den Blick an Deck, denn der Hafen wird immer voller mit Menschen ...
Inzwischen ist es Nachmittag geworden, der Hafen ist bereits randvoll mit Besuchern. Wir begeben uns zum letzten Schiff für heute, der Amrumbank, einem ehemaligen deutschen Feuerschiff, das in seinem Arbeitsleben an verschiedenen Orten und zuletzt bis 1983 in der Deutschen Bucht stationiert war. Daher stammt auch der Schriftzug auf der Seite des Schiffes, das leicht an dem großen Lampenmast in der Mitte zu erkennen ist. 1917 gebaut bei der Meyer Werft in Papenburg hat es eine Länge von fast 53 m, eine Breite von rund 8 m und einen Tiefgang von über 4 m.
Die damalige Besatzung umfasste 12 Personen, die im 2-Wochen-Rhythmus gewechselt wurden. Normalerweise liegt das Schiff im Ratsdelft der Stadt Emden etwas weiter flussaufwärts, weswegen es keine lange Anreise hatte.
In seiner Heimatstadt wird es auch als Restaurant eingesetzt, weshalb hier und heute ebenfalls eine Stärkung an Bord möglich ist. Loona nutzt die Gelegenheit, etwas Sonnenwärme auf dem Holzdeck der Amrumbank zu tanken ...
Noch viele andere Segler sind vor Ort, die wir aus Zeitgründen leider nicht besuchen können: Die polnischen Schiffe Pogoria und Frederyk Chopin, die britische Earl Of Pembroke, die niederländischen Schiffe De Utrecht, Thalassa, Wylde Swan, Abel Tasman, Artemis, Brandaris, Hendrika Bartelds, J.R.Tolkien, Pedro Doncker, Mercedes, Morgenster, Twister, Loth Lorien, Frisius van Adel, Willem Barentsz, Kamper Kogge und Helena. Dazu kommen noch sehr viele kleinere Segelschiffe, Motorschiffe und auch Behördenschiffe, die alle auf neugierige Besucher warten.
Wir kämpfen uns zurück zum Ausgang und in Richtung des Shuttlebusses, der uns wieder zum Parkplatz bringen soll. Es sind inzwischen derart viele Besucher da, dass Loona nur noch getragen werden kann: Laufen wäre für sie nun zu gefährlich. Die Rückfahrt zum Parkplatz ist ebenfalls sehr gut organisiert, es sind bereits sehr viele Menschen auf dem Rückweg dorthin, aber mehr kommen immer noch an ...
Die nächste Sail in Delfzijl wird sicher wieder eine ganze Weile auf sich warten lassen, befindet sich aber bereits in Planung. Vielleicht sollte man ja einmal eine Sail machen, die nur kleine Segler bis etwa 30 m Länge präsentiert, da diese bei der Darbietung der "Großen" eher weniger beachtet werden - aber so etwas wird wohl eine Illusion bleiben.
Wir sind am frühen Abend zurück an Bord, die Schauerneigung hat weiter zugenommen. Es wird wohl eher ein nasser Sommer in diesem Jahr ...
© 2016 Jürgen Sattler
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Jürgen Sattler finden sich in unserer Autorenübersicht!