Der "Fliegende Vogel" ist endlich fertig ...
Ende Juni 1935 war die KALAKALA fertiggestellt. Ihr silberner Aufbau und die luftfahrtähnliche Erscheinung faszinierte die Massen, die ans Meer nach Seattle strömten, um sie zu besichtigen. Wie erhofft, erlangte die stromlinienförmige Fähre schnell einen hohen Bekanntheitsgrad, nachdem sich Bilder auf der ganzen Welt verbreitet hatten ...
Ein übermäßig begeisterter Beobachter nannte sie "Das bedeutendste Schiff seit der Arche Noah". Sie wurde bald das am meisten fotografierte Objekt der Welt; direkt an zweiter Stelle nach dem Eiffelturm.
Schätzungsweise 100.000 Bürger versammelten sich am Fährterminal der Puget Sound Navigation Company am 02. Juli 1935 in Seattle, um Zeuge ihrer Jungfernfahrt zu werden - eine Reise bis nach Bremerton, eine Entfernung von nur 16 Meilen (ca. 30 km, Karte unten links). An Bord waren 500 Gäste der Fährgesellschaft.
Zwei Tage später nahm sie den täglichen Betrieb zwischen Seattle und Bremerton auf mit jeweils sechs Hin- und Rückfahrten pro Tag. Der Fahrpreis betrug 45 Cent pro Strecke für Passagiere und 1,10 US $ für Autos und Fahrer. Während dieser Überfahrten passierte sie oft sehr dicht die traditionellen Dampffähren, die ebenfalls täglich auf dem Puget Sound kreuzten (unten rechts) ...
Jeden Abend startete sie in Seattle um 20:30 Uhr zu einer vierstündigen "Mondscheinkreuzfahrt". Joe Bowen und das "Flying Bird Orchestra" spielten während dieser "Reisen nach Nirgendwo". Paare zahlten US $ 1,00, um zu gewünschter Musik zu tanzen.
Die Puget Sound Navigation Company wollte, dass die KALAKALA als "Fliegender Vogel" bekannt wurde - oder auch als "Silberner Schwan". Aber das führte bereits bald auch zu anderen, weniger schmeichelhaften Spitznamen wie "Silberschnecke", "Silberkäfer" oder bei der skandinavischen Gemeinschaft in Seattle auch "Kackerlacka", was "Kakerlake" bedeutete ...
1935 - 1967
Die KALAKALA diente über dreißig Jahre als Fähre auf den Gewässern des Puget Sound. Während dieser Zeit war sie in einige kleinere Unfälle verwickelt, zu denen eine Kollision mit einer anderen Fähre gehörte und wobei sie auch dreimal die Docks rammte. Letzteres wurde auf die eingeschränkte Sicht vom Ruderhaus aus zurückgeführt.
Im Jahr 1940 machte sie die letzte Überfahrt als Fähre an der Meerenge von Tacoma, Washington, bevor die erste Tacoma Narrows Bridge mit großem TamTam eröffnet wurde. Vier Monate später brach diese schlecht gestaltete und instabile Brücke, berüchtigt als "Galoppierende Gertie", zusammen ...
Während des Zweiten Weltkriegs wurde KALAKALA und ihre Schwesterfähren für zusätzliche tägliche Überfahrten herangezogen, um die erheblich verstärkte Belegschaft der Bremerton Schiffswerft zu versorgen. Häufig voller Arbeiter, die nach Abschluss der Tag-, Nacht- und Wechselschichten kamen und gingen, erwarb sie schließlich einen anderen Spitznamen, auch etwas schmeichelhafter: "Das Arbeitstier vom Puget Sound" ...
Die KALAKALA erhielt 1946 die FCC-Lizenz # 001 von der Federal Communications Commission, nachdem das erste kommerzielle Radarsystem oben auf ihrem Ruderhaus installiert wurde (Bild oben rechts).
Im Jahr 1950 übernahm das Washington State Ferry System die Verantwortung für die Bereitstellung des Fährendienstes auf dem Puget Sound. Diese Regierungsbehörde erwarb anschließend alle Schiffe von der Puget Sound Navigation Company und die MV KALAKALA wurde vom Folgejahr an eine Washington State Fähre.
Im Jahr 1955 wurde ihr die Strecke von Port Angeles, Washington nach Victoria, British Columbia durch die Juan de Fuca Strait zugewiesen (Karte unten links). Während der folgenden fünf Jahre machte sie täglich vier Hin- und Rückfahrten zwischen den USA und Kanada. Ihre Aufenthalte im malerischen Hafen von Victoria (unten rechts) waren jeweils nur kurz. 1960 wurde sie durch eine neu gebaute Fähre ersetzt, die über höhere Fahrzeugkapazität sowie bessere Eignung für die oft stürmische Überfahrt verfügte ...
Während der Weltausstellung 1962 in Seattle wurde dieses immer noch äußerst populäre Art Déco Schiff an prominenter Stelle an den Gewässern vor Seattle platziert und mit Bannern und Fahnen dekoriert. Laut Umfragen unter den Millionen Besuchern war sie dabei die zweitgrößte Attraktion, lediglich die "Weltraumnadel" war seinerzeit noch populärer.
Während der Sommerzeit in der Mitte der 1960er Jahre versah die KALAKALA den Fährdienst auf dem Puget Sound an sieben Tage die Woche. Außerhalb der Saison fuhr sie jeweils am Wochenende. Im Jahr 1966 wurden vom Washington State Ferry System mehrere "Superfähren" in Betrieb genommen, die schneller waren und doppelt so viele Fahrzeuge wie die KALAKALA transportieren konnten. Diese machte ihre letzte Fahrt am 02. Oktober 1967 und wurde anschließend zum Verkauf an den Meistbietenden angeboten ...
Richtung Norden nach Alaska - und wieder zurück ...
Die KALAKALA wurde an die American Freezerships Company verkauft und im Jahr 1968 nach Dutch Harbour in Alaska geschleppt, um dort als Krabbenverarbeitungsschiff eingesetzt zu werden. Zwei Jahre später verkaufte man sie erneut und verlegte sie an einen anderen Ort in Alaska. Nach nur wenigen Monaten wurde die einstige Stromlinienfähre schon wieder verlegt und gelangte diesmal nach Gibson Cove in Kodiak, Alaska.
Dort wurde sie bei Flut auf eine Sandbank gesetzt. Bulldozer füllten rundherum um das auf Grund liegende Schiff Felsen auf, um es an dieser Stelle festzulegen (Bild rechts). Während der nächsten Jahre verkaufte man die verlassene ehemalige Fähre noch zwei weitere Male. Beide Firmen, die sie erworben hatten, gingen bankrott.
1982 ging das Schiff ins Eigentum des Bundesstaates Alaska über und der verkaufte es anschließend an die Stadt Kodiak in Alaska. Ein weiteres Jahrzehnt lang blieb die KALAKALA ungenutzt und verfiel in dieser Zeit.
1991 gründete schließlich ein leidenschaftlicher Bewunderer der ehemaligen Schönheit eine gemeinnützige Organisation zu dem Zweck, sie wieder flott zu machen und zu restaurieren. Es dauerte etliche weitere Jahre, dieses Vorhaben zu finanzieren und das Schiff technisch zu sanieren.
Am 24. Juni 1998 kehrte die KALAKALA wieder in ihr natürliches Element zurück. Vier Monate später wurde sie zurück zum Puget Sound geschleppt, wo Tausende Bewunderer sie begrüßten und die Gelegenheit erhielten, ihre inzwischen unansehnlichen Innenräume zu besichtigen.
Innerhalb eines Monats
wurde sie an einen geschützten Ort am Lake Union,
Washington, gebracht, wo Freiwillige damit begannen, sie zu
restaurieren. Mangelnde Gelder und rechtliche Probleme mit der
Stadt Seattle sowie mit der US-Küstenwache stoppten jedoch schon
bald diese
Bemühungen.
Ein langes, schleichendes Ende ...
Zwischen Juli 2000 und März 2003 scheiterten verschiedene ehrgeizige Projekte, die KALAKALA zu finanzieren, sie wiederherzustellen und an der Küste von Seattle auszustellen. Ohne weitere Möglichkeiten und Finanzmittel musste die gemeinnützige Stiftung schließlich Insolvenz anmelden. Sechs Monate später versteigerte das zuständige Gericht die ehemalige Fähre bei einer Auktion.
Der neue Besitzer, eine andere gemeinnützige Gruppe namens "Verlorene Horizonte", ließ die KALAKALA nach Tacoma, Washington, schleppen. Auch sie planten die Wiederherstellung des Schiffes in seiner früheren Pracht und es als schwimmende Attraktion zu betreiben mit Besuchen von verschiedenen Häfen am Puget Sound.
Doch auch diesmal brachten fehlende Mittel derartige Pläne zum Scheitern. Weitere Jahre vergingen ohne ersichtliche Fortschritte. Der Besitzer der Hafenanlage von Tacoma, wo das Schiff festgemacht war, investierte eigene Mittel zu dessen Unterhalt, anstatt dafür Liegegebühren zu erhalten. Im Jahr 2011 inspizierte die US-Küstenwache das Schiff und stellte fest, dass die unmittelbare Gefahr drohte, dass es sinken könnte. In der Folge wurde das Schiff zu einer Bedrohung der Schifffahrt erklärt.
Der Hafenbesitzer von Tacoma wurde zum letzten Eigner dieses legendären Schiffes bestimmt. Einige Jahre lang widersetzte er sich dem Unvermeidlichen.
Aus Ermangelung weiterer Möglichkeiten und finanzieller Mittel erkläre er sich in Anbetracht hoher Strafen seitens der Behörden schließlich im Dezember 2014 damit einverstanden, dass das Schiff abgeschleppt und verschrottet werden sollte.
Am 22. Januar 2015, fast achtzig Jahre nach ihrer Einführung als Art Déco Schiff, begann die MV KALAKALA ihre letzte Reise. Diese war kürzer als eine Seemeile und fand am Ende eines Abschleppseils statt. Die Verschrottung des Schiffsrumpfs begann sofort und kam schnell voran. Bereits in der ersten Märzwoche war alles, was noch geblieben war, lediglich ein paar Teile, die später als Souvenirs verkauft wurden ...
Das Kultbild eines Kultschiffes ...
Dieser Beitrag enthält nur einen Bruchteil der Hunderte von Bildern des "Fliegenden Vogels", die noch erhalten sind, seit das Schiff im Jahr 1935 die Fantasie der Welt beflügelte. Viel zu viele davon zeigen das Schiff in den letzten Jahren seines Verfalls. Es macht sicherlich mehr Freude, sich an die MV KALAKALA so zu erinnern, wie sie in ihrer Blütezeit erschien.
Eines der besten Bilder dieser Art ist ein riesiges Wandbild, das die gesamte Seite eines Gebäudes in Port Angeles, Washington, einnimmt (rechts). Es zeigt den "Fliegenden Vogel", der diesen Hafen in den 1950er Jahren verlässt in Richtung Victoria, British Columbia. Als eine von mehreren Wandmalereien in dem Ort und in der Umgebung von Port Angeles zeigt diese Malerei recht dramatisch auch die majestätischen Olympic Mountains im Hintergrund. Eine schöne Art, sich an sie zu erinnern ...
© 2017-2021 Bill Lee, Deutsche Übersetzung: Explorer Magazin