Zwischen Sandbänken und Inseln ...

Wir hatten den Sommer des Plus gewordenen Minus erwischt: Drei Tage Sonne, vier Tage Regen, Gewitter, Bewölkung, Sturm. Solange die Donau gut betonnt war, hatten wir keine großen Probleme damit, doch wenn jede Art von Markierung fehlte, auch keine Kilometerangaben am Ufer mehr auszumachen waren, wurde die Navigation auf diesem unübersichtlichen Flussstück sehr schwierig. Eine Vielzahl von Inseln standen vor dem Schiff verschwommen in Dunst und Regen. Wo war die Fahrrinne? Verberght schrieb in seinen Karten: Dies war die Fahrrinne 1998, kann heute anders sein. Eine nicht sehr Vertrauen erweckende Aussage. "Es ist noch kein Schiff die Donau runter gefahren ohne Grundberührung", schrieb eine Seglerin in ihrem Reisebericht. Auch keine große Beruhigung. Wir hatten nur einen Vorteil, dass es in den Karpaten stark geregnet hatte und alle Nebenflüsse den Wasserstand der Donau mächtig ansteigen ließen ...

Sandbänke und Inseln, die Verberght eingezeichnet hatte, könnten schon längst gewandert sein, die Tiefwasserzonen könnten sich verlagert haben, die Flachwasserzonen erweitert. Manfred konnte sich keine Minute erlauben, unkonzentriert zu sein. Wie schnell war man in den falschen Arm eingefahren und steckte dann hoffungslos im Sand fest. Schiffe, wie auf dem Rhein, auf deren Hilfe man vielleicht hoffen könnte, gab es hier nicht. Was sich keuchend und qualmend den Fluss aufwärts schob, waren meist äußerst abenteuerliche Gefährte, selbst so groß wie eine schwimmende Insel. Schubschiffe oder riesige Muflons, Schlepper und Selbstfahrer, aneinandergekoppelt mit Leichtern in allen Schattierungen von rostgrau über rostrot bis rostschwarz. Die meisten aus der Ukraine, beladen mit Kohle, so hoch aufgetürmt, dass mancher Schiffsführer in seinem Haus kaum darüber schauen konnte. Ständig lief bei ihnen das Radar. 

... schwierige Navigation ... Manchmal war die Karte gespickt mit Warnungen vor Wracks, die an eben diesen Sandbänken gescheitert waren ...     

Die ersten Vorboten des Deltas kamen in Sicht: Vögelschwärme erhoben sich, so dass der Himmel sich kurzzeitig noch schwärzer färbte. Kormorane formierten sich, setzten wie Stukas zum Tiefflug an. Die ersten Pelikane schleppten ihre schweren Körper über uns hinweg. Zwei Adler, leider viel zu hoch um sie zu filmen. Graureiher und Störche. 

Auf der bulgarischen Seite erhob sich malerisch in amphitheatralischer Lage das auf Uferterrassen gelegene Svistov. Hier hat die Donau ihren südlichsten Punkt erreicht und wendet sich wieder nach Nordost. Dazwischen Inseln über Inseln, Arme, Sandbänke in unüberschaubarer Vielfalt. Und eine trübe, schlammige Donau. Dann Russe, die viertgrößte Stadt Bulgariens und der bedeutendste Industriehafen. Sexanta Prista (60 Schiffe) war schon Standort der römischen Donauflottille ... 

Auf der gegenüberliegenden, der rumänischen Seite Giurgiu: Genueser Schiffer errichten im 14. Jh. eine Handelsniederlassung und die Burg San Giorgio, daher der Name. 

Hier mussten wir uns wieder bei der Capitania melden: Wieder hieß es ein Crew-Liste abgeben, die Bootspapiere und die Einklarierung wurden kontrolliert, das Schreiben des Konsuls wohlwollend begutachtet und schon durften wir in einem kleinen Bassin an einem Steiger der Hafenverwaltung anlegen und einige Tage verbringen, um das 65 km im Hinterland gelegene Bukarest zu besichtigen. Und das kostenlos mit Strom, Wasser und einem Aufpasser. 

Eine Doppelstockbrücke verbindet Bulgarien und Rumänien, eine Freundschaftsbrücke soll sie sein, doch bevor Freundschaft zwischen diesen beiden Ländern herrscht, wird noch manches Wässerchen die Donau hinab plätschern. Die Fähre wurde auch eingestellt, deshalb brauchte man auch keinen Duty-free-Shop mehr. Aber eine Freihandelszone, die gab es.

Tutrakan, malerisch auf einem Steilhang in Gartengrün eingebettet, ließen wir auf der rechten Seite links liegen ...
               

... und Belohnung: gefangener Wels ...

Unser Ziel war die ehemalige Quarantäne-Station Oltenita: Nicht, dass dieses Dorf irgend wie sehenswert wäre, doch hier lässt die Stentor-Werft von Sneek ihre Schiffe bauen. Für einen Freund sollten wir uns mal umschauen, wie sie so arbeiten und wie sie so sind. Die obligatorische Crew-Liste ließen wir bei der Capitania, die uns freundlich anbot, auf ihrem Ponto liegen zu bleiben, dann ging es Richtung Hafen. Leider waren in diesem Hafen Ausländer nicht erwünscht ... 

Silistra, wieder eine irre breite Donau und die Staatsgrenze zwischen Rumänien und Bulgarien. Jetzt konnte das bulgarische Militär getrost seine Feldstecher, Ferngläser und Teleskope einpacken, das Corpus inkognito war ohne Attacke vorüber gezogen. 

Am rechten Ufer breitete sich nunmehr die Dobrudscha aus. Die Donau mäanderte zwischen großen und kleinen Inseln und wir folgten ihrem Lauf wie Slalomfahrer. Der Borcea-Arm zweigte am linken Ufer ab, dazwischen ein Gewirr aus Seitenarmen, Inseln, Tümpeln, kleinen Seen, Dickicht und Auwäldern. Der Arm war breit wie der Rhein und ebenfalls befahrbar. Eine urwüchsige Landschaft mit üppiger Vegetation. Die Luft trug schwer am süßen Duft der Lindenblüten. 

Nie war der Strom näher daran, sich im Schwarzen Meer zu verlieren. Doch als ob das Land seine Lebensader noch nicht hergeben wollte, warf sich der 470 m hohe Gebirgshorst der Dobrudscha zwischen Meer und Strom und zwang diesen zu einer rechtwinkligen Richtungsänderung nach Norden. 

Wir folgten seinem Hauptarm Richtung Cernavoda: Hier wurde vor einigen Wochen ein Berufsschiff von Piraten gekapert. Ein Schiffsmann wurde verletzt und musste im Krankenhaus behandelt werden. Die Piraten erbeuteten 15 kg Soja und wurden von der Wasserpolizei ohne viel Federlesen dingfest gemacht ...

Flusspiraten ... ...

Cernavoda und Constanza sind verbunden durch den Donau-Schwarzmeer-Kanal: Hier können 300 km Donau abgekürzt und das Delta umgangen werden, was wir natürlich nicht wollten. Eine 15 km lange Brücke überspannt den Borcea-Arm, die Balta-Insel und die eigentliche Donau. Wegen des problematischen, sandigen Untergrunds mussten die Pfeiler 31 m unter Mittelwasserstand versenkt werden. Zwischen Giurgeni und Vadu Oii, der Schaffurt, befand sich die endgültig letzte der spärlichen Brücken über die Donau. 

Galati ...Die Landschaft veränderte sich nun nicht mehr. Flaches Land und Pappelhaine begleiteten uns bis ins Delta, nur unterbrochen von ein paar kleinen Nestern, verfallenen Fischerhütten und den großen Städte Braila und Galati.

Galati ist der größte Donau-See-Hafen von Rumänien und eine bedeutende Industriestadt. Hier ging wirklich was ab: 100 Kräne, 500 Hochhäuser, aber dazwischen auch noch einige wunderschöne alte Häuser, die der deutschen Bombardierung 1944 entkommen waren. 

Wir durften am Ponton der Hafenpolizei kostenlos anlegen, Revision kam an Bord. Diesmal wurde auch nach unserer Inventar- und Proviantliste gefragt. Nach einer gemeinsamen Flasche Wodka war aber das alles nicht mehr so wichtig. Am nächsten Morgen fuhr uns ein Hafenkapitän sogar zur Metro, ein Supermarkt wie zu Hause. 

Auch hier gab es einfach alles und für unsere Verhältnisse natürlich spotbillig. Doch das dicke Ende folgte: Wir sollten, weil der oberste Chef uns entdeckt hatte, für die Nacht 101 Euro zahlen. Wir protestierten, debattierten, verhandelten, weigerten uns. Doch erst nachdem dem Chef das Schreiben unseres Konsuls zugefaxt wurde, reduzierte er den Preis auf 10 Euro. Trotz aller Freundlichkeit der Pontonbesatzung - ein bitterer Nachgeschmack blieb. 

Ab km 150 war das Maß aller Dinge die Seemeile "sm" oder nautische Meile "nm". Die Umstellung, nur noch 81 nm bis zum Schwarzen Meer ...

Die See naht ...Bei sm 72,4 linkes Ufer mündete der Pruth in die Donau, er ist mit 828 km Länge ihr zweitgrößter Nebenfluss. Gleichzeitig bildet er die Grenze zwischen der Ukraine und Rumänien. Im Gebüsch lag ein Patrouillen-Boot, doch es brachte uns nicht auf. Aber Deutschboot war ein häufig gebrauchtes Wort über Funk ...

Vor Tulcea verbrachten wir noch eine Nacht hinter einer Insel. Morgens um sechs riss uns die Sirene eines Polizeiboots aus dem Schlaf: Das winzig kleine Schnellboot besetzt mit 6 Uniformierten sah aus als hätte es gerade eine Eskimorolle in einem Schlammloch hinter sich. Wahrscheinlich waren sie hinter ein paar armseligen Fischern her. Sie kamen glücklicherweise nicht an Bord, wollten nur unsere Dokumente sehen, als wüsste nicht jeder an diesem Fluss, dass wir Richtung Delta unterwegs waren, verabschiedeten sich mehrsprachig und weg waren sie. 

Rechtwinklig zweigt der Tulcea-Arm vom Hauptstrom ab, doch er war breiter als der Rhein. Der Hauptstrom mündet in den Kilian-Arm und führt 60 % des Wassers der Donau mit, er durchläuft die Ukraine und da wir keine Visa für dieses Land hatten, nahmen wir den Tulcea-Arm und verließen später das Delta über den Sulina-Arm. 

In Tulcea erhielten wir die Genehmigung, das Delta auch außerhalb des offiziellen Schiffsweges zu befahren. Der Papierkrieg beim Einchecken war enorm und beim Abfahren das Gleiche noch mal und jedes Mal wurde 1 Euro Gebühr fällig, der nicht mal die Kosten für die auszufüllenden Formulare deckte. Nur einen ruhigen Liegeplatz bekamen wir natürlich nicht. In diesem Flusshafen war der Teufel los: Fischernachen, Ausflugsboote, Passagierschiffe, Hafenbarkassen, Frachtschiffe, Kümos, Seeschiffe, Fähren, Versetzboote und dazwischen kurvte mit Vollgas die Politia de Frontieria und ließ alle Anlieger hüpfen ...

Das Delta

Ungebändigtes Leben in ungebändigter Natur, ein Dschungel, eine Wasserwüste, eine Sumpflandschaft, schwimmende Inseln, wogende Schilffelder, zahlreiche kleine und große Seen, das ist das Delta. Eine archaische Landschaft im Reich des Wassers. Hier erinnert die Natur an die Entstehung der Welt. Hier wird sich der Strom in einsamer Größe in drei Armen mit dem Meer vereinen. Zum letzten Mal hat die Donau ein Meisterwerk geschaffen, eine großartige Krone, die das Heldentum und die Versöhnung mit dem Schicksal, die Großzügigkeit und das Rätselhafte belohnt, ohne dessen Existenz der Strom in trauriger Banalität vergehen würde.

In diesem Land jenseits der Nebelschwaden befindet sich ein erstaunliches Mosaik verschiedener Biotope: 3480 Tierarten gibt das Delta eine Heimat. Davon alleine 300 verschiedenen Vogelarten und 90 Arten Fische. Der Rest, Wirbeltiere und Wirbellose. Schmetterlinge, Libellen, Wildschweine, Schlangen, Marderhunde, Bisamratten, Seeotter, Füchse und Hasen und Unmengen von Insekten, 2224 verschiedene Arten. Da muss ich mich wirklich fragen, warum nur hat Noah nicht wenigstens die zwei Stechmücken erschlagen?

Die Donau teilt sich in drei Arme, die miteinander durch kleine Kanäle und Seen verbunden sind. Der größte ist der Chilia-Arm, er fließt an der Ukraine entlang und führt 63 % des Donauwassers mit sich. Der Sulina-Arm ist der Hauptschifffahrtsweg und entsprechend kanalisiert und begradigt. Der Sfintu-Gheorghe-Arm windet sich in großen Mäandern dem Meer entgegen. Inseln scheinen im Fluss zu treiben, nicht verankert im Rest der Welt. Ein sicherer Zufluchtsort für alle Geschöpfe, die sich nur durch Flucht oder Tarnung verteidigen können ...    

... ungebändigte Natur ... ... archaische Landschaft ...
... erstaunliches Biotop ... ... im Donaudelta ...

Diesem Stromarm folgten wir, bis wir abbogen in einen winzigen Kanal, mitten durch ein Sumpfgebiet, bis er sich verbreiterte und rechts und links 3 m hohe Schilfwälder sich leise rauschend im Wind bewegten. Weiße Seerosen und gelbe Teichrosen säumten unseren Weg, unterbrochen von den Netzen der Fischer. Umgestürzte Bäume verengten das eh schon schmale Fahrwasser. Zwei Pelikane erhoben sich schwerfällig in die Luft. Ein winziger Kanal führte in den Isac-See, der sollte unser Tagesziel werden. Einheimische rasten mit kleinen Nachen oder weißen Flitzern, beladen mit Touristen an uns vorbei. Kann man so ein Paradies genießen, ein Naturschutzgebiet erkunden? Der See war verkrautet, hier konnten wir nicht fahren, auch wenn das Wasser glasklar war und zum Baden einlud. In dem kleinen Zufahrtskanal fuhren wir in den Schilfgürtel, wie alle anderen auch.

Nichts liegt mir ferner, als einen Mythos zu entzaubern, aber dieser geheimnisvolle Urwald, in dem Völker leben sollen, die noch nie ein Mensch gesehen hat, ist ein Märchen. Natürlich verändert sich die Sumpflandschaft ständig, doch die Haupt-Kanäle, die das Delta durchziehen, haben Namen und sind sogar beschildert. Kein vernünftiger Mensch wird sich mit einem Paddel- oder Schlauchboot in 3 bis 4 m hohes Schilf wagen und sich von den Schnaken fressen lassen. Die Kanalwelt ist ähnlich einem Labyrinth, verzweigt, unübersichtlich und jeder Kanal ähnelt dem anderen.. Hat man einmal die Orientierung verloren, ist es schwer ohne Hilfe wieder auf den rechten Weg zu finden. Doch über die Wasserwege und Kanäle des Deltas gibt es sogar Karten, nach denen man durchaus fahren kann. Ohne Kompass zu fahren ist nicht anzuraten und wir haben zur Sicherheit auch das GPS eingeschaltet. So konnten wir das Delta kreuz und quer befahren und genießen.

Nach den vielen Wochen auf der Donau wirkte der Sulina-Kanal enttäuschend nüchtern, öde, langweilig. Die Ufer waren befestigt. Rechts zogen sich endlos triste Strommasten schnurgerade entlang. So weit das Auge reichte, niedrige, sich verlierende Ferne. Fast zwei Monate hatten wir auf der Donau gelebt, mit ihr, von ihr. Unser Abenteuer Donau war nun zu Ende. Ich fühlte Bedauern. Es war ein Abenteuer, das wenige vor uns erleben durften und wenige nach uns erleben werden. Es war spannend und lustig, es war atemberaubend und fremdartig, es war die Erfüllung eines Lebenstraumes ...     

Erfüllung eines Lebenstraums ...

Ein Leuchtturm sagte uns:

Die Königin der europäischen Ströme existiert hier nicht mehr ...


Wer Lust auf die ganze Geschichte hat, mit persönlichen Erlebnissen, zwischenmenschlichen Problemen, Kümmernissen von verstopfter Klopumpe bis zu 9 Windstärken im Mittelmeer, der kann das aus dem dazugehörigen Buch erfahren:

Beluga geht durchs Nadelöhr:
Eine Bootsreise über Donau, Schwarzes Meer und Mittelmeer, ISBN 3-937274-22-7

Bestellen bei: 
www.beluga-on-tour.de


© 2006 Doris Sutter