Neue Grenze, neues Land: Ungarn

Ausklarieren aus der Slowakei und einklarieren in Ungarn war völlig unproblematisch: Die slowakische Zollstelle für die Sportschifffahrt ist das Straßenzollhäuschen auf der Straßenbrücke zwischen slowakisch Komarno und ungarisch Komarom. Die Ungarn machten uns nicht mal einen Stempel in die Pässe. "Nix Stempel!" sagte der junge Grenzpolizist, "nur Eintritt-Formular ausfüllen!" Dann weiß ja keiner, dass wir hier waren, halte ich ihm vor. "Ich weiß, ist genug." Und schon waren wir entlassen. Keine Zollkontrollen, keine Fragen, keine Bootspapiere, gar nichts.

Auch Ungarn hat mittlerweile am Europäischen Ufer angedockt. Haben sie jahrelang einen Kommunismus ohne Kommunisten praktiziert, versuchen sich die ewig Gestrigen heute mit einem Kapitalismus ohne Kapitalisten. Aber die Jungen werden durchstarten und ihr Land allem Neuen und Westlichen noch weiter öffnen ...    

Die Kuppel der Basilika taucht auf ... ... im Jachthafen von Esztergom ...

Die Donau war hier breit und behäbig: Manchmal tanzte ein Wirbel oder Strudel im Fahrwasser, doch die Auenlandschaft machte eher ein wenig schläfrig, da zunehmend eintönig. Sieht man schon von weitem die Kuppel der Basilika wie eine Fata Morgana aus dem Dunst aufsteigen, weiß man, dass Esztergom erreicht ist, das Tor zum Donauknie. Ein kleiner Jachthafen liegt im Altarm Kis-Duna. Ein Nachfahre von Attila dem Hunnenkönig setzt dessen Tradition fort: Reisende ausplündern, wo man sie trifft. Die Einfahrt war so schmal, dass weniger Mutige als wir sicher keinen Versuch wagen würden. Aber die Wassertiefe war ok und Stadt und Basilika einen Besuch wert. Ein Petersdom im Kleinformat, gebaut damit sich bei seinem Anblick unbedeutende Menschen noch unbedeutender fühlen ...

Touristenrummel in Szentendre ...Das Donauknie wird gerne als die ungarische Wachau bezeichnet: Natur und Fluss verbinden sich hier zu einer einzigartigen Symbiose von außerordentlichem Liebreiz. Eine romantische Hügellandschaft begleitete uns. Trotzdem schlüpften wir in den Szentendre-Arm, der durchgehend bis zu seiner Einmündung in die Donau kurz vor Budapest 3-5 m Wassertiefe hat. Die Wiking-Marina von Budapest hat hier eine Zweigstelle, die genauso teuer ist. 

Nur wer Touristenrummel und Nepp liebt, fühlt sich in der ehemaligen Künstlerkolonie und Handwerkerstadt Szentendre wirklich wohl. Selbst die Kirchen verlangen Eintritt. Aber die unberührte Natur des Altarmes lohnte diesen Abstecher allemal. 

Die Dame mit der Donau zwischen den Brüsten

Nach 10 km vereinte sich der Arm wieder mit der Donau und wir steuerten Budapest an. Am rechten Ufer neben der Inselspitze ist die Wiking-Marina der Hauptstadt. Der Hafen war untief, mit 1,30 m Tiefgang wühlten wir bereits Dreck auf. Zwei größere Hausboote lagen etwas weiter hinten rechts und links im Becken. Sie waren verbunden mit einer Brücke, schätzungsweise 3 m über Wasser. Über das Ganze zog sich die Autobrücke, über die auch die Trambahn fuhr - ein ruhiger Hafen ist etwas anderes. Die Preise stinken zum Himmel: Der Gott-sei-bei-uns soll mich auf seine Mistforke spießen, wenn ich noch einmal über die Freudenhauspreise in deutschen Jachthäfen fluche ... 

Immerhin hat die Wiking-Marina die einzige Wassertankstelle Ungarns

Budapest ...Buda und Pest, die Dame mit der Donau zwischen den Brüsten, ist von der Wasserseite nur noch mit der Schönheit von Paris zu vergleichen. Die Prachtbauten hauen einen geradezu um. Wir ließen das unvergleichliche Panorama auf uns einwirken, knipsten und filmten wie die Irren und fluchten über den bedeckten Himmel, der uns strahlende Bilder verwehrte.

15 km hinter Budapest ist ein Seitenarm mit einer kleinen Steganlage und dem Clubhaus des Harosi Jachtclubs: Angeblich ein preiswerter und ruhiger Übernachtungsplatz. Wenn nicht gerade Pfingstsamstag ist und das Jahresfest stattfindet. 

Es dröhnten die Lautsprecher von nachts um 11 Uhr bis morgens um 5 und spuckten Jazz und Remmidemmi aus in schätzungsweise 200 Dezibel. Beim Bezahlen stellen wir fest, dass der Harosi Club noch teurer als die Marina Budapest war. Es gab kein Wasser und keine Verbindung zurück zur Stadt.

Kaum zeigte die Sonne mal ein fröhliches Lächeln, fielen Stechmücken über uns her wie Essigfliegen über verdorbenes Obst ...

Mächtig breitete sich der Strom in der Landschaft aus. Die Navigation war immer noch relativ einfach: Der Fluss ist meist gut betonnt. Die Karten von Verberght waren Manfred eine große Hilfe, wenn einmal eine Tonne fehlte oder auf der falschen Seite am Ufer lag.

Der Sio-Kanal zum Balaton ...Bei km 1.597,2 mündet rechts der Sio-Kanal in die Donau, der zum Balaton führt. Er machte einen guten Eindruck und soll von Sportbooten zu befahren sein. Nur, was sollten wir im Plattensee, der durchschnittlich nur ca. 90 cm tief ist.

Wald begleitete uns jetzt. Auch Sandstrände von karibischem Ausmaß. Die Ansiedlungen wurden immer spärlicher. Stände dort nicht manchmal ein Saugbagger im Strom, belagert von rostigen Schuten, man wäre mit sich und der Welt alleine ...

Unsere letzte Übernachtung in Ungarn war Baja: Ca. 5 km mussten wir durch Kanäle bis zur Marina schippern. Strom und Wasser war da, auch ein Supermarkt direkt am Hafen. Der Platz war bewacht und teuer wie überall in Ungarn. Das Land könnte für Bootsfahrer eigentlich ein Traumland werden. Die Donau ist ein breiter freundlicher Fluss, mit vielen Inseln, Baggerseen, Seitenarmen und Sandstränden. Doch die Preise in den Jachthäfen waren wirklich unverschämt, zumal die Infrastruktur fehlte. 

Sollte einer noch mal erzählen, Ungarn wäre ein preiswertes Urlaubsland, den darf man getrost auslachen: Ein Ungarn hat uns ganz klipp und klar gesagt: "Leute mit Boote alle viel Geld, auch in Ungarn, können zahlen. Ungarn jetzt in EU, Ungarn machen Preise wie in EU. Wir wollen nicht Billigland sein. Nicht gut für Wirtschaft." Aber das ist gar nicht gut für den Tourismus, der viel Geld bringen könnte ... 

Raus aus der EU

Jetzt verließen wir wirklich die Europäische Gemeinschaft: Ganz so lässig wurde der Grenzübertritt hier nicht gehandhabt. Wir legten in Mohacs am offiziellen Zollsteiger an, doch da wollen sie uns Kleinen nicht. Etwas weiter oben war ein kleiner und ein größerer Steiger, da sollten wir anlegen. Manfred ließ mich nur aussteigen, irgend etwas war ihm suspekt. Beluga dümpelte im Wasser, während ich die Formalitäten erledigte. Wasserschutzpolizei, Grenzpolizei und Zollbüro. Überall musste ich eine, die gleiche Liste ausfüllen. 5 Euro sollte ich beim Zoll zahlen, damit ich eine dieser Listen ausfüllen durfte. Ich zuckte die Schulter, hatte keinen Cent dabei.

Raus aus der EU: Am Zollsteiger von Bezdan ...Ein feister Dicker kam angerannt und wollte fürs Anlegen an seinem Steiger kassieren. Ihm machte ich ganz klar, dass wir ja gar nicht an seinem Steiger lagen und dem jungen Zöllner erklärte ich, wenn er will, dass wir hier anlegen, dann muss er auch für einen Steiger sorgen. Wir zahlten jedenfalls keinen Forint und schon gar keinen Euro. Eine Abordnung aller drei Behörden kam an Bord, inspizierte Boot und Maschinenraum. Der junge Zöllner war sichtlich enttäuscht von der Größe unserer Motoren. 

Die hübsche junge Grenzpolizistin bewunderte noch das Foto unserer Enkeltochter und schon waren wir entlassen. Eine Stunde hatte die Prozedur gedauert. Alles war korrekt und sachlich, ja freundschaftlich abgelaufen. Erst beim Weiterfahren fiel mir ein, dass ich ja Besatzungslisten ausgedruckt hatte wie ein Weltmeister und die Listen hätte gar nicht ausfüllen brauchen. Na, beim nächsten Mal, und mein Bootsstempel würde da auch zum Einsatz kommen.

22 km später erreichten wir den Zollsteiger Bezdan in Serbien. Über eine wacklige Stiege, ähnlich einer Leiter, bei der jede zweite Stufe nach hinten abknickte, kletterte ich vom Ponton Richtung Zollhaus. Wir müssten uns auf eine lange Wartezeit einrichten, sagte uns ein junger Adonis in hervorragendem Englisch. Zwei Berufsschiffe müssten erst abgefertigt werden und ein Kreuzfahrer, und der hat natürlich absolute Priorität. 

Es war 14 Uhr und Abend würde es sicher werden. Erstmals wurden unsere Donaupässe verlangt und einbehalten. Ich wurde in einen kleinen Raum geführt. Der junge Adonis leistete mir Gesellschaft. Wir unterhielten uns angeregt, über den Krieg auf dem Balkan, über Politik und Politiker, die Geschichte Serbiens und wir waren uns einig, dass es in einem Krieg weder Sieger noch Besiegte gibt, nur Verlierer. 

Gastfreundschaft mit Fischsuppe ... Zweieinhalb Stunden später kam der Hafenkapitän. Er musste seitenweise Formulare ausfüllen, sein Gesichtausdruck war streng und korrekt. Als er mich zur ersten Unterschrift aufforderte, fragte ich ihn: "I made the world best boatsstamp for you, don´t you want to have it?" Da war das Eis endgültig gebrochen: Der junge Adonis fuhr sogar mit unseren Pässen in die Stadt, um die Durchfahrtsgebühr von 60 Euro für das Boot zu entrichten. 

Manfred hatte sich zwischenzeitlich mit der Besatzung der Hafenbarkasse angefreundet und als ich an Bord zurückkam, besorgte einer der Arbeiter einen Pott mit Fischsuppe für uns, und die Frau des Adonis brachte noch einen Teller selbstgebackene Palatschinken mit Schokosoße. Wir erlebten einen feucht-fröhlichen Abend und sind sicher, niemand vor uns hat je so vergnüglich in einem Land einklariert ... 

Die Donau war breit, die Fahrrinne verlief in ihr gewunden wie eine Schlange. Die Wassertiefe schwankte zwischen 5 und 20 m, entsprechend viele und kräftige Wirbel waren im Fluss. Kleine Boote könnte das schon ganz schön durchschütteln. Krümmung folgte auf Krümmung, Seitenarme, Inseln, verwirrend. Die Donau-Schwaben waren hier in der Vojvoda zu Hause. 

Die ersten Riesen-Schiffe tauchten auf: Ein Schuber mit 9 Leichtern, drei nebeneinander, drei hintereinander. Was musste dieses Schiff für eine Kraft haben, um solche Massen flussaufwärts zu schieben. Ein Monstrum.

Bei km 1.382 mündet die Drau in die Donau. Sie kommt aus dem 750 km entfernten Toblacher Feld in Süd-Tirol.

Die Inseln wurden größer, breiter, länger - was für ein Strom! Hinter jeder Kehre wünschte ich mir, dass die Sonne endlich dieses irrsinnige Panorama ins rechte Licht rückte, damit ich das herrlichste Bild machen könnte, das je von der Donau geschossen wurde. Doch das Wetter meinte es weiterhin nicht gut mit uns ... 

Vukovar befand sich wieder im Aufbau, die Szenerie war nicht mehr ganz so dramatisch, aber immer noch erschreckend genug. Wir passierten diese Strecke bis Novi Sad bei strömendem Regen und einem strammen Ostwind, der überkippende Wellen von mehr als einem Meter vor unsere Beluga stellte ...     

Vorbei an Vukovar ...

... nach Novi Sad: Die Pontonbrücke ...

Nadelöhr Brücke

Die erste von der Nato zerschossene Brücke in Novi Sad befand sich im Aufbau. Der Jachthafen ist direkt davor in einem Hafenbecken am linken Ufer. Boote bis 5 m Länge sind da vielleicht gut untergebracht. Wir versuchten an einem schrottreifen, hier verlassen abgestellten Hausboot anzulegen: Sofort kam einer angerannt und verlangte 50 Euro. Wir legten ab und fanden einen kurzen Kopfsteiger in einer kleinen Anlage unterhalb der Brücke im Strom. Da die Pontonbrücke erst Samstagnacht wieder geöffnet wurde, waren wir verschont vom Schwell der Berufsschifffahrt.

Die Brücke wurde zur Durchfahrt geöffnet Dienstag und Donnerstag von 22:00 - 5:00 Uhr und Samstags von 22:00 Uhr bis Sonntags 12:00 Uhr. Für Sportboote ist die Durchfahrt kostenlos. Wir mussten hier einige Tage ausharren. Erst im Oktober 2005 wurde die Pontonbrücke entfernt und die neu gebaute Brücke eröffnet. Somit ist die Durchfahrt wieder frei ...   


© 2006 Doris Sutter