Lettland, 25.08.04: Einsame Wälder ...
Kurz bevor wir die estnisch/lettischen Grenze erreicht hatten, war uns ein PKW mit vier jungen Männern aufgefallen, der vor uns fuhr. Bereits bevor der Grenzposten sichtbar wurde, hatten zwei Insassen den PKW verlassen und waren zu Fuß weiter gegangen.
Wir sind zunächst nur mit unserem eigenen "Grenzzwischenfall" beschäftigt und beobachten das weitere Geschehen deshalb nicht.
Als wir dann aber nach Lettland einreisen, sehen wir in einer Kurve - wieder außer Sichtweite des Grenzpostens - den PKW, der auf die beiden Fußgänger wartet, die dann wieder zu den beiden anderen Fahrzeuginsassen einsteigen. Wir überlegen hin und her, was diese Form des Grenzübergangs wohl zu bedeuten hat, finden aber keine Erklärung. Wir sind uns aber einig, was Gutes hat dies sicher nicht zu bedeuten ...
Übrigens hat sich niemand bis jetzt - weder in Estland noch hier in Lettland - um unser offen sichtbares CB-Funkgerät gekümmert. Wir waren etwas unsicher, inwieweit angabegemäß bestehende Regelungen überwacht werden - aber auch hier offenbar kein Thema mehr.
Die erste halbe Stunde holpern wir durch wunderschöne Waldgebiete, die uns stark an Finnland erinnern. Die Gegend ist sehr einsam: Immer wieder sehen wir auf verwilderten Wiesen große verfallene Gutshöfe, aus Naturstein gemauert, während auf den bewohnten Bauernhöfen Holzhäuser stehen. Wann hat der Wandel von Stein zu Holz stattgefunden? Aus welcher Zeit stammen die großen Natursteinruinen? Warum sind sie zerstört? Fragen über Fragen, auf die wir während der Fahrt keine Antworten finden.
Die ersten Straßenschilder tauchen auf und zeigen, dass wir die einsame Grenzgegend verlassen und uns bewohnteren Gebieten nähern. Die Straßenschilder sind Relikte aus der Sowjetzeit, denn die Ortsangaben sind zweisprachig. Die kyrillischen Bezeichnungen hat man überklebt. Symbol für die Unabhängigkeit?
Viele Störche haben hier ihr Sommerquartier: Auf Strommasten und bei fast jedem Bauernhof können wir sie in ihren Horsten beobachten, denn noch sind sie nicht aufgebrochen zur großen Reise nach Afrika. Die Stromversorgung scheint hier noch recht aufwändig zu sein. Immer wieder sehen wir elektrische Einrichtungen, die uns an Kindheitstage erinnern.
Unser Weg führt vorbei an Rujiena und Valmiera, der alten Hansestadt Wolmar. Ziel ist der Ungurs See im Gaujas Nationalpark. Das Wetter zieht sich zu, es beginnt zu regnen, was aber die Schönheit der Landschaft nicht im Geringsten mindert. Die Wolkenschwaden schaffen eine verzauberte Atmosphäre. Am Ufer des Ungurs See gibt es einen Campingplatz, dessen Betreiber laut Internet-Informationen deutsch sprechen sollen.
Am Platz angekommen gießt es in Strömen, die Wiesen weichen auf und die Wege verwandeln sich in Schlammpisten: Obwohl am Ufer Tretboote zu mieten sind, schöne Feuer- und Grillplätze existieren und Badestrand sowie Bootssteg angelegt wurden, kommt keine rechte Lust auf, diese Einrichtungen zu nutzen.
Die Betreiberin und ihre etwa 15-jährige Tochter begrüßen uns freundlich: Die Tochter wird zunächst genötigt, mit uns in Englisch zu verhandeln, aber ihr Englisch reicht nicht aus, um damit eine Übernachtung buchen zu können. Also versuchen wir es auf Russisch: Das kann zwar die Mutter, die Tochter aber nicht. Deutsch spricht hier übrigens niemand (mehr?). Letztendlich schaffen wir es aber doch: Wir vereinbaren eine Übernachtung ohne Stromanschluss und ohne Duschmarken. Man ist etwas enttäuscht, dass wir keinen Strom brauchen, hätte man uns doch so gerne eine wassertriefende Steckdose unter dem Dach einer Hütte angeboten, deren Anschluss wohl jedes VDI-Mitglied erschaudern lässt ...
Hier zapfen wir zum ersten Mal intensiv braun verfärbtes Trinkwasser und das kommt auf dem Rest unserer Reise nun immer wieder vor. Wir verwenden es jedoch bedenkenlos, denn schließlich tun es die Einheimischen auch ...
Der Platz ist fest in deutscher Hand: Außer uns campieren noch zwei deutsche Familien auf dem Gelände.
Bei der einen Gruppe handelt es sich um eine muntere vierköpfige Patchworkfamilie, die mit Motorrad und Zelt unterwegs ist. Leider ist die Batterie von einem Motorrad defekt. Da es sich bei der Maschine um ein älteres BMW-Modell mit einer Batterie von 12V/19A handelt, bekommen sie im nahen Cesis keinen Ersatz: Über den ADAC lässt man schließlich eine Batterie für den morgigen Tag nach Riga einfliegen.
Obwohl es regnet und recht frisch ist, sind die beiden Kinder gut gelaunt und albern rum: Sie gesellen sich zu uns unter die Plane und unterhalten uns mit ihren neusten Witzen. Die Eltern organisieren in der Zwischenzeit einen Mietwagen für die Fahrt nach Riga. Mit CD's und Kugelschreiber vom Explorer Magazin ausgestattet verabschieden sich die Kinder. Wir wünschen der Familie viel Glück: Wie mag es ihnen wohl weiter ergehen?
Und tatsächlich erreicht uns nach unserer Rückkehr eine Email:
Hallo liebes Explorerteam, ...
So ging die Geschichte weiter:
U. war mit meiner BMW nach Cesis gefahren und hat mit dem ADAC telefoniert, die eine neue Gelbatterie nach Riga geflogen haben am selben Tag noch. Mit einem Leihwagen sind wir am folgenden Tag nach Riga gefahren und haben die Batterie abgeholt. Danach nutzten wir die Gelegenheit, die Stadt zu erkunden, was wirklich lohnenswert war. Die ehemalige Hansestadt ist wirklich schön herausgeputzt und hat einiges zu bieten.
Abends wieder zurück, hat U. noch schnell die Batterie eingebaut und die BMW erwachte sofort wieder zum Leben. Nun musste noch der Kofferträger geschweißt werden, was wir in Cesis machen konnten.
So setzten wir unsere Reise fort, fuhren weiter an Riga vorbei ins Kurland. Landschaftlich auch sehr reizvoll und dünn besiedelt gefiel uns die hügelige Landschaft sehr. An der Ostsee angekommen, nahmen wir Kurs Richtung Süden an der Küste entlang bis Palanga in Litauen. Dort verbrachten wir noch die letzten Tage mit Strandtag, einer Fahrt nach Siauliai zum Berg der Kreuze und einem Tag auf der Kurischen Nehrung, was der Baltikum-Reisende nicht verpassen darf!
Von Klaipeda schipperten wir zurück nach Kiel und von dort planten wir nach zwei Tagesetappen in Gieboldehausen (in der Nähe von Göttingen) zu sein. Das jährlich dort stattfindende MRT (Motorrad-Reise-Treffen) war unser Ziel. Doch U.'s BMW machte uns einen Strich durch die Rechnung: Östlich vom Harz versagte sie wieder den Dienst mit ebenfalls tiefentladener Batterie. Sinnigerweise in der Ortschaft Warsleben (Nach dem Motto: das war's mit dem Leben ...) Selbst ein netter BMW-Motorradmechaniker, der in dieser Straße wohnte und uns half, hat den Fehler nicht gefunden.
Also schwang ich mich auf meine BMW und brauste nach Göttingen, wo ich Auto und Anhänger untergestellt hatte und holte sie ab, damit wir noch zu dem Treffen kommen konnten. Von Gieboldehausen fuhren U. und J. mit dem ADAC huckepack nach Stuttgart, R. und ich mit Auto und Anhänger zurück nach Jülich im Rheinland.
Alles in Allem ein sehr chaotischer Urlaub, der aber auch viel Spaß gemacht hat, was letztendlich auch daran liegt, das man immer wieder nette Leute unterwegs trifft.
Liebe Grüße ...
Bild: J. und R. im Hexenpark bei Juodkrante auf der kurischen Nehrung
© 2004-2005 Text/Bilder Sixta Zerlauth, Bild unten: Udo Schönberger