Auf zum Bismarckwein ...
Am späten Mittwoch Nachmittag geht es von München aus los in Richtung Südost: Die Reise ist problemlos, denn noch haben die Ferien in den bevölkerungstärksten Bundesländern nicht begonnen. Der Ort Attersee am gleichnamigen See im Salzkammergut ist unser Ziel. Dort wollen wir den Abend und die Nacht verbringen.
Auf dem Campingplatz Wimroither-Mühle (N47°54.853´ E013°31.767´) werden wir freundlich empfangen, der Platz jedoch ist sicher in die untere Kategorie einzuordnen. Wir sind froh, dass wir nur eine Nacht bleiben. Zu Irritationen bei einigen ankommenden Gästen führt offenbar das hier übliche Verlangen auf Herausgabe des Personalausweises: Ein Franzose, der zusammen mit uns eintrifft, versucht auf Englisch zu erklären, dass er doch in Europa wäre und nirgendwo mehr Personalausweise zu zeigen seien. Hat das Schengener Abkommen auf österreichischen Campingplätzen keine Bedeutung? Doch die Diskussion ist aussichtslos: Will er übernachten, muss er den Personalausweis übergeben. Dann wagt er auch noch zu fragen, wie denn der Stellplatz aussieht. Darauf meint die Campingplatzbesitzerin mit stark holprigem Akzent: "My man will show you a beautiful place! Kumm, gemma!"
Wir machen uns auf in den Ort, wollen etwas essen. Obwohl zur Zeit eigentlich Hochsaison ist, herrscht am Abend überall Leere. Straßen und Lokale sind leer. Man merkt, viele Deutsche haben noch keine Ferien und vielleicht auch weniger Geld für den vielbeworbenen "Urlaub bei Freunden" ...
Am nächsten Morgen verlassen wir ohne Bedauern den Platz und fahren auf der A1 Richtung Wien, Pannonien entgegen, wie die Römer die Provinz nannten, in der das Burgenland liegt. Die Sonne brennt und die Österreicher sind mit der Generalsanierung der A1 beschäftigt: Da bleibt der Stau nicht aus, doch bald haben wir ihn "ausgeschwitzt".
Unser erstes Ziel im Burgenland ist Pöttelsdorf, das im Wulkatal liegt, ganz in der Nähe von Mattersburg. Dort wollen wir das ehemalige "Haus Bismarck" - heute Domaine Pöttelsdorf - besuchen. Von hier stammt der sogenannte Bismarckwein. Es ist ein Blaufränkischer, der Otto von Bismarck bei Vorfriedensverhandlungen nach der Schlacht von Königgrätz im Jahre 1866 in Nikolsburg in Mähren kredenzt wurde. Der eiserne Kanzler war so begeistert, dass er bis zu seinem Lebensende regelmäßig Wein aus Pöttelsdorf bezog - würde es dem Explorer vielleicht ähnlich ergehen?
Nun - was für Bismarck gut war, wollen auch wir probieren!
Die Domaine Pöttelsdorf am Kellerweg 15 (N47°45.383´ E016°26.099´) fällt durch zwei große Türme auf, die sich als Tanks mit je 600.000 Liter Fassungsvermögen entpuppen. 1978 wurden die Tanks anlässlich einer Rekordernte aufgestellt und nur wenige Jahre genutzt. Heute dient ein Tank als Eingang zur Ausstellung "Der Weg der Traube". Die Umwidmung der Tanks macht die Wandlung anschaulich: Weg von der billigen Massenproduktion hin zu weniger, aber qualitätsvollen Weinen. Der Eintritt mit 10,- EUR pro Person ist sicher kein Schnäppchen, aber drinnen ist es angenehm kühl und eine Menge Informationen mit einer ausgiebigen Weinverkostung gibt es auch noch.
Man lernt die wichtigsten Traubensorten kennen, kann einen Film über burgenländischen Wein sehen und hat von einem Aussichtsfenster des Gebäudes einen schönen Ausblick auf die Toplagen der Domaine (3= Vordersatz, 4= Högl, 5= Buchgraben, 8 = Pöttelsdorf).
Süchtig macht das Schnuppern in Fässern mit leichtem und intensivem "Toast". Weiter geht es vorbei an einem der größten österreichischen Barriquekeller, dem "Red Room". In seinen 1000 Eichenfässern à 225 Litern reift so manche Köstlichkeit heran. Schließlich leitet der Weg den Besucher in einen Raum, der in unwirkliches blaues Licht getaucht ist: Hier stehen die Gährungstanks, an den Scheiben sind Rotweintrinkerweisheiten zu lesen wie:
Trink ich Rotwein, verderb´ ich, |
Rotwein ist für alte Knaben |
Die Tour endet in der Vinothek, wo man uns schon zur Verkostung erwartet. Und das ist wirklich schmeckenswert! Wir probieren uns durch vom reinrassigen Zweigelt zum frischen Blaufränkischen. Beides preiswerte Tropfen von guter Qualität.
Doch wirklich angenehm überraschen uns die Cuvées "Vanessa" (65% Blaufränkisch, 25% Zweigelt, 10% Cabernet) und der 2000er "Attaché" (70% Blaufränkisch, 30% Cabernet). Kein Wunder, dass diese Weine viele Preise gewonnen haben, die in der Vinothek durch zahlreiche Urkunden belegt werden. Dieser Geschmack hat natürlichen seinen Preis, der aber durch die überaus hohe Qualität auf Weltklasseniveau gerechtfertigt ist.
Wir fragen nach den Auswirkungen der "Glutsonne": Der Weißwein habe bereits Probleme wegen der Hitze und der Trockenheit. Für den Rotwein sei es noch gut, mit Betonung auf "noch". Wollen wir das Beste hoffen für den Jahrgang 2003!
Klar, dass wir Wein mitnehmen und ebenso klar, dass sich ab sofort das Problem mit der Glutsonne Pannoniens verschärft: Das Redaktionsfahrzeug braucht in Anbetracht seiner Farbe ohnehin mal wieder viel Schatten und nun mit der wertvollen Fracht für unser Weinkeller-Regal ganz besonders!
Wir fahren weiter nach Markt St. Martin zu einem der wenigen Campingplätze (N47°33.766´ E016°26.310´) im Mittelburgenland. Angeschlossen an ein Schwimmbad ist es zwar kein "Komfortcampingplatz", aber die Lage ist schön, etwas außerhalb vom Ort gelegen, es gibt Schatten am Nachmittag, jede Menge Platz und sehr freundliche Betreiber ...
Wir machen uns auf und gehen in den Markt: Vorbei an den typischen Burgenländer Häusern mit ihren idyllischen Höfen suchen wir den einzigen Gasthof des Ortes auf. Es ist Donnerstag und da hat der Gasthof zu. Mist! Wir setzen den Rundgang durch den Ort fort, entdecken eine Schnapsbrennerei und einen Old English Pub. Guinness trinken in einem Land, das solche Rotweine produziert? Danach steht uns heute keineswegs der Sinn.
Zurück am Campingplatz verwerfen wir die Idee, am Schwimmbadrestaurant zu essen: Der Friteusengeruch ist zu penetrant. In einen anderen Ort zu fahren haben wir auch keine Lust. Also beschließen wir unsere "Notspaghetti" frisch zu kochen (kein Fertiggericht!) und genießen diese bei einem Glas Rotwein (was sonst?) - einem Mitgebrachten ....
© 2003 S. Zerlauth