Österreich ´11
Zelten in Oberösterreichs Bergen - Bergwandern südlich vom Nationalpark Kalkalpen
Wunsch nach Zivilisationsferne ...
Wer die Berge liebt, liebt die Freiheit, die Natur, die Einsamkeit, die Unabhängigkeit, die Stille. Dieses Gefühl, am Gipfel eines Berges zu stehen, den Blick in die Ferne gerichtet, ganz bei sich zu sein - abseits von Hüttengaudi und Touristenpfaden. Die Wälder zu durchschreiten und dann den Punkt zu erreichen, wo die Vegetation immer karger wird, schroffe Steinwände und der Blick nach unten. Die Natur wirklich erleben können.
Den Wunsch, Teil dieser einzigartigen Unberührtheit zu sein, äußerten einst nur "alternative Sonderlinge". Doch je schneller der Alltag wird, je lauter unsere Umgebung, desto größer wird der Wunsch nach Stille fernab der Zivilisation auch bei jenen, die ansonsten gerne an diesem aufregenden Lebensstil teilhaben.
Nachdem ich als Kind regelmäßig in den Bergen war, kam die Phase als Jugendliche, wo man das alles langweilig und doof findet. Doch das "Bergfieber" lässt sich nicht so leicht vertreiben: Hat es dich einmal erwischt, lässt es dich nicht wieder los. So meldete sich auch bei mir rasch wieder die Sehnsucht nach den Bergen ...
Langsam angehen wollte ich es, denn nach Jahren, in denen ich bloß auf Berge hoch und nicht runter geschaut habe, hatte ich Bedenken, welche Gipfel ich denn gefahrlos besteigen kann. Deswegen waren die ersten Wanderungen sorgsam geplant und vor allem nicht alleine (!).
Mit der Familie oder mit Freunden gemeinsam Gipfel zu erklimmen ist schön: Sich gemeinsam Kraft geben, Mut machen, dass man etwas schaffen kann, was man ansonsten vielleicht nicht gewagt hätte. Das sind Erlebnisse, von denen man im Alltag profitieren und lange zehren kann. Die lustigen Hüttenabende, sich im Schlaflager mit 15 anderen noch einmal in die Schulzeit zurückversetzt fühlen, das Gemeinschaftsgefühl möchte ich keinesfalls missen.
Trotzdem beschlich mich nach einer Weile die Sehnsucht nach mehr: Mehr Stille, mehr Natur, mehr Freiheit, mehr Unabhängigkeit. Und nach weniger: Weniger Skiwasser, weniger Menschen, weniger Kaiserschmarrn und Hüttengaudi. Soll heißen: Freunde, Zelt, Berge, Natur, aus ...
Anreise
Von Linz, der Landeshauptstadt von Oberösterreich, ist man nach nicht einmal eineinhalb Stunden Zugfahrt in den Bergen. Unser Ziel: Roßleithen, ein kleiner Ort nahe dem Nationalpark Oberösterreichische Kalkalpen.
Per Flugzeug erreicht man Linz beispielsweise auch aus dem hohen Norden oder dem tiefen Westen: Bremen, Berlin, Hannover, Düsseldorf, Köln-Bonn, Leipzig, Dresden. Infos zur Gepäckmitnahme und Flüge buchen unter www.fluege.de.
Die Strecke Linz-Roßleithen kostet mit der Bahn 13,90 Euro (Normalpreis, Stand Frühjahr 2012) bzw. 7 Euro (ermäßigt mit der Vorteilscard). Weitere Infos unter www.oebb.at.
Mein erstes Mal Zelten in den Bergen Österreichs habe ich mit Freunden, so wie wir dachten, sorgsam geplant. Es stellte sich im Laufe der Tage jedoch heraus, dass es so einfach wie wir dachten, nicht werden sollte.
Rechtliches zum Zelten in den Bergen
Um möglichen Ärger schon vorab zu vermeiden, haben wir uns informiert, wo es erlaubt ist, in der Natur zu zelten. Je nach Bundesland ist dies in Österreich nämlich unterschiedlich geregelt. Die Entscheidung fiel auf meine Heimat Oberösterreich, weil hier das "Lagern und Zelten" im alpinen Ödland, dem Gebiet oberhalb der Baumgrenze, erlaubt ist.
Vorab sollte geklärt sein, ob es sich möglicherweise um Weideland handelt: Offene Wiesen sind häufig im Eigentum von (Berg)bauern. Fragt man den Besitzer, ob man sein Zelt aufstellen darf, haben diese in der Regel nichts gegen Wanderer, die ihr Nachtlager am nächsten Morgen sauber (!) zurücklassen. Meiner Meinung nach ist dies sogar die beste Variante, so kann man sicher gehen, nicht irrtümlich in einem Nationalpark, Naturschutzgebiet oder Wasserschutzgebiet gelandet zu sein - hier ist das campieren nämlich verboten!
Zusätzlich haben wir einen offiziellen Campingplatz ins Auge gefasst: Falls es Probleme beim Finden eines geeigneten Nachtlagers gibt, es uns doch zu einsam werden sollte, oder uns die Sehnsucht nach den wichtigsten Vorteilen der Zivilisation - Warmwasser und Toilette - packt ...
Das Abenteuer beginnt ...
Mit Rucksäcken, Zelt, Schlafsäcken, Wanderschuhen, Proviant und einer großen Portion Aufregung stehen wir schließlich frühmorgens am Bahnsteig: Als wir in den alten Waggon steigen denken wir uns schon, dass diese Strecke wohl wenig befahren wird und amüsieren uns über die außerordentlich gut gefederten Sitze und die klapprigen Türen ...
Die Fahrt ist ruckelig und laut, aber wunderschön. Beim Blick aus dem Fenster kann man die Veränderung der Landschaft beobachten: Je näher wir unserem Ziel kommen, desto weniger Häuser sieht man, aber um so mehr Bäume und endlich, nach etwa einer Stunde Fahrt - die Berge. Richtige Berge (keine Hügel), karge, steinige, grau-weiße Berge.
In Roßleithen angekommen sind wir erst einmal ratlos, wie es nun weiter gehen soll: Wir hatten erfahren, dass man von hier aus entweder laufen kann, ein Taxi hoch zum Campingplatz nehmen oder zumindest einmal täglich mit einem Bus fahren kann. Doch weder sind Hinweise zu sehen, in welche Richtung wir laufen sollen, noch ist ein Taxi in der Nähe. Es gibt zwar eine Bushaltestelle, aber dieser Bus fährt lediglich die Ortschaften im Tal ab.
Ok, also noch einmal etwas Zivilisation: Smartphone sei dank finden wir die Nummer eines Taxibetreibers heraus, der uns dann für wenig Geld und in kurzer Zeit nicht nur ans Wunschziel bringt, sondern uns auch gleich noch viele Ratschläge für unseren Aufenthalt hier mit auf den Weg gibt. Veranstaltungshinweise, Ausflugziele, Hütten-Geheimtipps und vieles mehr ...
Die erste Nacht wollen wir auf dem Campingplatz verbringen und uns am nächsten Tag in Ruhe auf die Suche nach einem Schlafplatz abseits der anderen Camper umsehen. Der Zeltplatz liegt direkt am Gleinkersee, auf über 800 Metern Seehöhe. Neben einigen fixen Stellplätzen für Dauercamper sind auch wir mit unseren Zelten gern gesehene Gäste. Da wir außerhalb der Ferien und während der Woche ankommen, ist außer uns keiner vor Ort und wir haben freie Platzwahl. Natürlich wollen wir so nahe wie möglich ans Wasser.
Bergsee vor der "Haustür" ...
Der Ausblick am nächsten Morgen ist sagenhaft! Reißverschluss am Zelt auf, Nase raus, der wunderschöne Bergsee direkt "vor der Tür", völlig klar, und die Berggipfel, die sich darin spiegeln ...
Als Frühaufsteher habe ich schon vor allen anderen meine erste Runde um den See gedreht: Knapp 30 Minuten ist man auf schmalen, weichen Waldwegen und geschotterten Uferwegen unterwegs - vorausgesetzt, man nutzt keine der zahlreichen Bänke, um den Blick auf den See auszukosten.
Ein Angler ist zu sehen, der seelenruhig in seinem Boot sitzt und wohl eher die Ruhe genießt, als eifrig auf der Suche nach dem großen Fang zu sein. Im Gleinkersee sind nämlich durchaus große Exemplare von Karpfen oder Hechten zu finden.
Nach dem Frühstück geht es los zur ersten kleinen Wanderung, das Gepäck lassen wir noch am Zeltplatz. Unser Ziel: Pießlingursprung. Knapp zwei Stunden Gehzeit hin und zurück, sagen uns die Dauercamper, und dass wir uns das keinesfalls entgehen lassen sollen ...
Der Pießlingursprung ist die größte Karstquelle Österreichs und kann im Sommer den Wasserbedarf von einigen hunderttausend Menschen decken.
Der Weg vom Zeltplatz dorthin ist großteils gut ausgebaut und führt uns erst in den letzten Abschnitten steile Abhänge hinunter, die aber an den steilsten Stücken durch Treppen auch für weniger geübte Wanderer zu bewältigen sind.
Schon während man sich noch treppabwärts bewegt, ist das Rauschen zu hören: Zu sehen ist noch mindestens 15 Minuten lang nichts, aber es wird mit jedem Schritt lauter. Wenn man dann an der Quelle steht, kann man die riesigen Mengen kaum erfassen, die daraus pro Sekunde fließen sollen, nämlich durchschnittlich 2.000 Liter!
Am Rückweg halten wir nebenbei Ausschau nach möglichen Plätzen, wo wir abseits des öffentlichen Campingplatzes unser Lager aufschlagen können und fragen bei der Gelegenheit gleich einen freundlichen Bauern, der uns mit seinem Traktor auf den letzten Metern vor dem Zeltplatz entgegen kommt. Er lädt uns ein, auf seiner Wiese etwa 1 km vom Zeltplatz entfernt zu übernachten. Wir lassen uns den Weg erklären und wollen noch am selben Tag vorbei kommen.
Wir packen also unsere Sachen und lassen uns noch die viel gelobten Buchteln am See schmecken, um uns danach gestärkt auf den langen (1 km) Marsch zu machen.
Unsere erste Nacht zumindest etwas abseits vom Trubel verläuft gut, aber irgendwie fehlt noch etwas: Deswegen treten wir am nächsten Tag einen Kräfte raubenden Marsch an: Mit unserem gesamten Gepäck geht es hinauf, immer weiter hinauf. Vorbei an der Dümler Hütte, die ich noch aus Kindertagen kenne und die wir uns für den Notfall merken, um dahin bei Bedarf zurückkehren zu können.
Wenn der Rucksack immer schwerer wird ...
Immer weniger grüne Vegetation befindet sich am Wegrand und es geht über "Stock und Stein" weiter hinauf: Knapp 800 Höhenmeter haben wir schon überwunden und kommen langsam an den Punkt, wo wir das Zelt am liebsten am Wegesrand liegen lassen würden. Die Kilos am Rücken verdoppeln sich mit jedem Meter! Also legen wir Rast ein und lassen unseren Blick schweifen, auf der Suche nach einem geeigneten Stück Boden, auf dem wir die Nacht verbringen können.
So richtig wohl ist uns allerdings nicht dabei, da wir nicht genau wissen, wo die Grenze zum Nationalpark Kalkalpen verläuft und wir nicht ausgerechnet da zelten wollen, wo es verboten ist ...
Nach einer Weile haben wir ein Plätzchen gefunden, das zumindest einigermaßen eben ist: Steinchen, Äste und alles andere, was stören kann, wird entfernt und wir machen es uns gemütlich.
Es folgt definitiv eine Nacht, die keiner von uns je vergessen wird. Zu wissen, man ist weit weg von allem ist, was man sonst kennt. Keine anderen Menschen, keine Autos, kein Fernseher, kein Handy(empfang), keine Zeitung, einfach nichts ...
Den Moment genießen
Man kann nicht sagen, dass abseits von Städten und Menschen völlige Ruhe herrscht, aber die Geräusche sind andere. Am nächsten Morgen bin ich wieder als erste wach. Ich setze mich vor das Zelt und höre der Natur beim Erwachen zu: Vögel singen, Äste knacken, der Wind pfeift ...
Allein dieser Moment ist es wert, sich den Berg hinauf zu quälen, mit viel zu viel Gepäck, dafür aber mit Menschen an meiner Seite, die den Weg leichter machen und mit denen man dieses Erlebnis teilen kann.
Da wir jedoch noch andere Ziele haben (Gipfel!), beschließen wir, das Zelt in der Dümlerhütte unterzubringen und von da den Aufstieg zu starten. Also erst wieder einige Meter bergab, bevor es wieder hinauf geht. Natürlich nicht, ohne uns vorher von der Hüttenwirtin entsprechend stärken zu lassen.
Gipfelstürmer
Mit diesmal viel weniger "auf dem Buckel" ist der Aufstieg zur Roten Wand zwar noch immer kein Sonntagsspaziergang, aber bei weitem einfacher als tags zuvor mit Zelt, Schlafsack, Matte und sonstigen Utensilien. Müde und überglücklich kommen wir oben an: Hinsetzen, die Welt von oben betrachten, bei sich sein, nichts sagen müssen. Das ist ein großes Stück vom Glück ...
Nachdem wir unsere Füße ausgiebig gelüftet und unseren Körper mit frischem Wasser aus der Umgebung und einer ordentlichen Gipfel"jause" wieder gestärkt haben, wird es höchste Zeit für den Abstieg. Schließlich wollen wir noch im Hellen zurück bei der Dümmlerhütte sein.
Nach einem erholsamen Schlaf sind wir ausgeruht für eine weitere Gipfeltour: Das Warscheneck ruft. Und die gut 3 Stunden Aufstieg werden wieder mit einem sagenhaften Rundumblick belohnt.
Abschied von den Bergen
Da wir langsam aber sicher daran denken müssen, wieder in den grauen Alltag zurückzukehren, tanken wir hier noch einmal Kraft, um uns für den langen Abstieg zurück bis zum Gleinkersee vorzubereiten. Ab der Dümlerhütte wieder mit "Sack und Pack".
Angekommen am See sehen wir, dass der Campingplatz jetzt vor dem Wochenende deutlich voller ist und schon eine Gruppe von Campern Holz für ein Lagerfeuer sammelt. Wir beeilen uns, damit auch wir noch unseren Teil dazu beitragen können und genießen unseren letzten Abend in den Bergen in einer gemütlichen Lagerfeuer-Runde.
Die Nacht ist diesmal ziemlich kurz, doch da wir aber sowieso die Heimreise antreten, ist das nicht so schlimm ...
Bevor wir von "unserem" Taxi wieder abgeholt werden, setzen wir uns noch einmal an den See, schauen aufs Wasser und lassen ein paar Steine hüpfen. Ganz genau so, wie auch unser Herz in den letzten Tagen aufgrund der vielen schönen und einzigartigen Momente immer wieder gehüpft ist ...
© 2012 Julia Gußner