Brückenkurs für Fortgeschrittene ...
Während der Fahrt zum Cypress Creek fiel mir eine Dokumentation ein, die ich vor Jahren im deutschen Fernsehen gesehen hatte: Eine Erinnerung war, dass die 5 Expeditionsfahrzeuge über eine ganz wilde "Brücke" fuhren. Eine halbe Stunde später machte der Track eine scharfe Linkskurve und ich traute meinen Augen nicht, jetzt stand ich vor diesem Ding und sollte mit Dr. Billy drüber fahren!?! Die Spannung kam im Fernsehen schon ganz gut rüber, doch nun musste ich es selbst machen. SCHLUCK! Kurz überlegen war angesagt: Der Wagen wog ca. 2,7 Tonnen, verteilt auf kreuz und quer liegende Baumstämme, die nicht mehr den stabilsten Eindruck machten, eine Spannweite von knapp sechs Metern hatten und über einen in 3 Metern Tiefe liegenden Fluss führten ... , das ergab in Summe viel VORSICHT!
Einige Stämme lagen bereits im Fluss und andere hörten in der Mitte, verdeckt von kleinen Ästen, einfach auf. Nicht einmal zu Fuß wäre ich über die Mitte gelaufen. Ich holte tief Luft und schnappte mir dann einen Ast, den ich auf die Spurweite der Räder von Dr. Billy kürzte. Mit diesem in der Hand lief ich dann über die Stämme: Durch die so vorgegebene Distanz der beiden Räder war die beste Spur zu suchen.
Nachdem ich Andrew erklärt hatte, auf welchem Stamm ich wie weit fahren und wo ich mit welchem Rad von einem auf den anderen Ast wechseln wollte, brachte ich Dr. Billy in Position und ließ mir von Andrew den Weg weisen. Es ging Zentimeter für Zentimeter vorwärts, Schrittgeschwindigkeit wäre hier genau so unangebracht gewesen wie Schallgeschwindigkeit in der Spielstraße.
Von einem Ast runter zu rutschen, hätte unweigerlich zum Absturz geführt. Die Räder mussten irgend wie auf den glatten und krummen Stämmen Halt finden. Nach insgesamt 20 Minuten war ich drüben. Andrew folgte mir mit dem Patrol und dem Anhänger auf ähnliche Art und Weise, nur hatte er eine größere Spurweite und konnte deshalb durchgehende Stämme benutzen und sich so das Wechseln ersparen.
Am anderen Ufer angekommen, hörten wir Wagen aus dem Norden auf uns zu kommen. Es waren 3 Toyota Landcruiser, die sich nicht über die nächste Brücke trauten. Sie wollten also die gerade von uns überquerte Brücke zurück fahren, den schwierigen Canal Creek durchqueren und auf den nördlichen Bypass zurück, weil die kommende Brücke schlimmer war?!? Oh NEIN!!!
Wir hatten dennoch keine Lust, umzukehren! Also entschlossen wir uns, obwohl es schon spät nachmittags war, weiter zu fahren und uns wenigstens die Brücke mal anzugucken. Es waren sieben Kilometer bis zum nächsten Swamp (sumpfiges Gebiet) und dann noch fünfeinhalb Kilometer bis zur besagten Brücke. Als wir ankamen, war es bereits dunkel. Nachdem das Lager aufgebaut war, verkochten wir unsere letzten Vorräte. Am nächsten Tag sollten wir wieder einkaufen können, da uns so langsam das Essen ausging. Es lag aber noch die besagte Brücke vor uns. Der erste nächtliche Eindruck war gar nicht so schlecht, vielleicht war sie etwas mickrig, aber sonst...?! In der Nacht schlief ich nicht besonders gut, eine Vorahnung?
Am nächsten Morgen betrachteten wir die ganze Geschichte mal bei Tageslicht und ich wandte wieder meine "Stöckchenmethode" an, um so die beste Fahrspur zu finden. Dabei fiel mir auf, dass ich auf der linken Seite zwischen zwei Stämme rutschen und dadurch auf der anderen Seite von dem Stamm gezogen werden würde.
Baden erwünscht? Absolut nicht! Also einen kleinen Baum aussuchen und den dann zwischen die Stämme und unter den Zaundraht (!), der die Konstruktion zusammen hielt, schieben. Es war ohnehin schon knapp genug, aber dadurch, dass die Hinterachse nicht exakt der Spur der Vorderachse folgte, verblieben hinten auf der rechten Seite nur noch ganze 4 Zentimeter des Reifens auf dem Stamm. Steve rief von hinten "STOP!" und ich musste mir die Geschichte angucken. Es sah sehr bedrohlich aus und ich dachte, der Wagen würde gleich vor meinen Augen langsam abrutschen.
Was tun? Da der Stamm etwas weiter vorne einen kleinen Knick nach links machte, würde ich bald wieder etwas mehr "Fleisch" unter die Räder bekommen. Zurück konnte ich eh nicht mehr, da ein Manövrieren mit Einschlagen der Räder auf so dünnen Stämmen "ungesund" gewesen wäre. Es ging also weiter, Zentimeter für Zentimeter, und ich war drüben. UFF!! Jetzt kam der Nissan, der wieder durch seine breitere Spur ohne Weiteres drüberfahren konnte. Das war nicht fair!
Abschiede ...
Kurze Zeit später hieß es, Abschied von Debbie und Andrew zu nehmen, da sie für ein paar Tage an den Ufern des Jardine Rivers campen wollten, und wir weiter zur Fähre über den Jardine mussten. Zu Essen hatten wir nichts mehr und auch meine letzte Zigarette hatte ich nach der Überquerung der Brücke geraucht. Wir bogen links ab, um auf den Northern Bypass zu kommen. Der Weg wurde wesentlich besser, und wir kamen nun gut voran.
Die Fähre war schnell erreicht. Sie wird von Aboriginees des Injinoo-Stammes betrieben und die Gebühr von AUS$ 89,- beinhaltete auch die Campinggebühren für die einfachen Plätze nördlich und südlich des Flusses. Von der Durchquerung des Jardine River mit dem eigenen Fahrzeug wird abgeraten. Die Breite von mehr als 140 Metern und ein sehr sandiges Flussbett mit Sandbänken ließ schon so einige stranden. Ganz abgesehen von der Tiefe, die mit knapp zwei Metern in der frühen Trockenzeit für Dr. Billy deutlich zu viel war! Interessierte Zuschauer hätte man dabei allerdings in den anwesenden "Salties" (australische Leistenkrokodile, die bis zu 750 kg schwer und 8 m lang sind) gefunden. Im Jahre 1993 ist direkt an der Fähre ein Mann von einem solchen Saltie "verwertet" worden, obwohl die Tiere angeblich Betriebsamkeit und Krach meiden. Das zur Berechenbarkeit eines Krokodils ...
Das letzte Stück war schnell hinter uns gebracht und in Bamaga, dem ersten Anzeichen von Zivilisation nach 5 Tagen Fahrt, wurden erst mal unsere Vorräte aufgefrischt und ein kühles Bier im Schatten eines Baumes getrunken. Wir hatten noch eine Stunde Fahrt bis zur Pajinka (Bezeichnung der Aboriginee für "The Tip") und dem einfachen Campingplatz dort vor uns. Es war spät am Nachmittag, als wir zu Fuß die letzten eineinhalb Kilometer bei über 40°C zurückgelegt haben. Doch dann standen wir auf dem letzten Stückchen Fels vor dem Meer! Wir hatten es geschafft!!!!
Dreckig, erschöpft und völlig verstaubt standen wir da und stießen mit Sekt an. Bis es dunkel war, saßen wir auf dem heißen Felsen, genossen die Stille und beobachteten, wie sich die Sonne langsam über den Horizont schob und im Meer versank ...
Die nächsten zweieinhalb Tage verbrachten wir auf dem Campingplatz und erholten uns von der Tour. Ein paar kleine Reparaturen - besonders an den Motorrädern war so einiges neu zu befestigen - und ein ausgedehnter Check der Fahrzeuge wurde durchgeführt. Schließlich hatten wir noch den Rückweg zu bewältigen!
Auf diesem Rückweg hatten wir Gelegenheit, uns zwei Bomberwracks aus dem zweiten Weltkrieg im Busch anzusehen und eine Nacht am nördlichen Ufer des Jardine River zu verbringen. Für den weiteren Weg entschieden wir uns dann für die Bypass-Strecken: Die OTL zu befahren, ist ein tolles Abenteuer, aber zwei Mal hintereinander mussten wir es wirklich nicht haben!
Wir kamen gut voran und am Nachmittag waren wir schon an den Fruitbat Falls. Eine Strecke, für die wir vorher zwei volle Tage gebraucht hatten, war nun in weniger als 3 Stunden geschafft. Wir genehmigten uns ein erfrischendes Bad und es ging weiter. Kurz nachdem wir den Southern Bypass erreicht hatten, zweigte ein Weg in östlicher Richtung ab zum "Captain Billys Landing". Wer "Die Meuterei auf der Bounty" kennt, weiß vielleicht, dass Robert Logan Jack am 8. März 1880 mit seinen Leuten in Australien landete und dort mit einem Aboriginee, der sich "Captain Billy" nannte, Bekanntschaft machte. Genau dieser trat der Gruppe später bei deren zweiter Landung als Anführer einer Aboriginee-Gruppe entgegen und griff sie an.
Da mein Landy Dr. Billy hieß, mussten wir uns ja mal beim Captain vorstellen und bogen ab. Es ging durch dichtes Gebüsch und über einen erstaunlich guten Track. Nach einer halben Stunde sahen wir die wunderschöne Bucht vor uns liegen. Wir hatten einen weißen und menschenleeren Sandstrand mit einer kleinen Fischerhütte vor uns, in die Leute alles Mögliche und Unmögliche, was man am Strand so findet, aufgehängt hatten. Es war ein buntes Sammelsurium, mit dem man sich lange beschäftigen konnte ...
Am nächsten Tag hieß es leider schon aufbrechen und mit dem letzten Tropfen Benzin kamen wir schließlich am Archer River Roadhouse an. Die Piste war gut, erst recht nach dem, was wir in den letzten drei Wochen erlebt hatten und man raste dem Ende des Abenteuers Cape York entgegen. In Lakeland, einem winzigen Ort an der Straße zwischen Cairns und Cooktown, hieß es Abschied von Deb und Steve zu nehmen. Die letzten Tage hatten uns stark verbunden und wir hatten tolle Erlebnisse geteilt. Wir waren 20 Tage zusammen unterwegs und hatten mehr als 2.300 staubige Kilometer zurückgelegt. Mein Weg führte mich jetzt durch die Kuranga Ranges nach Cairns, wo ich die nächsten 18 Tage verbringen sollte. Ich musste Dr. Billy verkaufen und meine Heimreise antreten. Der einzige Trost: Meine Freundin wartete auf mich ...
Steve und Deb blieben noch ein knappes Jahr in Australien und durchquerten das Northern Territory, Queensland, New South Wales, Victoria und Southern Australia. Zwischendurch haben sie gearbeitet und zum Abschluss ihre Motorräder für die Heimreise nach Kalkutta verschifft. Inzwischen sind sie über den Landweg von Indien bis nach England gefahren und suchen in ihrer alten Heimat Arbeit für die neue Reise, und auch um ihre Rechnungen bezahlen zu können ...
Und wir? Wir kommen bestimmt wieder ..!
© 2001 Henning Schulz-Streeck