Bei den Aboriginees ...
Lockhart River war nicht meine erste Begegnung mit einer Aboriginal Community, aber gewöhnungsbedürftig ist so ein Umfeld schon. Es sieht auf den ersten Blick verwahrlost und dreckig aus. Die Häuser sind nicht gepflegt und die freundlichen Menschen scheinen mehr die Tage abzuwarten, als dass sie irgend wie aktiv werden. Meine persönliche Erklärung ist, dass sich das älteste noch existierende Naturvolk nicht so einfach in unsere "Zivilisation" eingliedern lässt und unsere eigenen Bewertungsmaßstäbe nicht angesetzt werden dürfen.
Solche Eindrücke können leicht ein falsches Licht auf Aboriginees werfen, aber den Respekt muss man sich vor ihrer Kulturgeschichte einfach bewahren und sich ins Gedächtnis rufen, dass man einer ganz anderen Lebenseinstellung gegenüber steht (dazu noch ein Buchtip: "Traumfänger" von Marlo Morgan).
Die erste dort von Europäern errichtete Siedlung hieß Somerset und wurde per Schiff versorgt. Im Jahre 1865 durchquerten Frank und Alexander Jardine mit sechs weiteren Männern als erste die Cape York Halbinsel auf dem Landweg. Sie benötigten elf Monate mit ihrer Expedition, bei der sie 30 von 42 Pferden und 200 von 250 Rindern verloren und mehrfach von Aboriginees angegriffen wurden. Aber die Jardine Brothers schafften es schließlich und scheiterten nicht, wie Carron Kennedy einige Jahre zuvor.
Kennedy gilt als großer Entdecker Australiens und wurde auf der Cape York Halbinsel von einem Aboriginal-Speer tödlich getroffen. Die anderen zahlreichen Teilnehmer seiner Expedition fanden sich voller Angst vor weiteren Angriffen auf einer Lichtung zusammen und trauten sich nicht mehr in den Busch zurück. Umgeben von ihnen unbekannten essbaren Früchten und das Meer im Blick, verhungerte einer nach dem anderen. Den Bergen ringsherum gaben sie die Namen der Verhungerten. Nur drei überlebten ...
Auf dem Rückweg von der Lockhart River Aboriginal Community wollten wir eine Abkürzung nehmen, um nördlich von der Peninsula Developmental Road endlich auf das Abenteuer "Old Telegraph Line Road" (OTL) zu stoßen. Doch leider kamen wir nicht durch den nächsten Fluss, den Pascoe River. Da wir noch recht früh in der Trockenzeit unterwegs waren, erwies er sich als noch zu tief und floss auch viel zu schnell. Also fuhren wir den Weg zurück, den wir gekommen waren. So mussten wir wieder am Archer River Roadhouse vorbei, um die Benzintanks aufzufüllen, da sie sonst nicht bis zur Spitze gereicht hätten. Langsam wurde es aber wirklich Zeit, auf die OTL zu kommen! Sie wurde vor 100 Jahren gebaut, als eine Telegraphenleitung von Cooktown bis zur nördlichsten Spitze Australiens, dem "Tip", errichtet wurde. Vor der OTL gab es keine Möglichkeit, auf dem Landweg vom Norden Queenslands aus bis zur Spitze zu kommen.
Die Old Telegraph Line Road: Bypass gefällig?
Am 6. Juli befuhren wir das erste Stück der OTL, an der seit ihrer Errichtung nicht viel gemacht worden ist. Sie wurde nie richtig befestigt und der Wechsel zwischen Regen- und Trockenzeit hat immer tiefere Spuren hinterlassen. Aufregend war es noch nicht, aber wir hatten schon viel über die erste Durchquerung des Wenlock Rivers gehört und die Nervosität und Ungewissheit über das, was da vor uns lag, stieg ständig.
Als wir am Wenlock River ankamen, dämmerte es schon, und da Deb´s XT 600 einen platten Hinterreifen hatte, entschieden wir uns, die Durchquerung auf den nächsten Tag zu verschieben. In den Trek-Notes stand etwas über eine versteckte Campmöglichkeit, 3 km vom Track entfernt am Fluss. Die fanden wir schließlich auch und übernachteten an dieser Stelle. Reifen flicken war erst am nächsten Morgen angesagt: Kein Spaß von Hand und bei 35°C!
Irgend wann war es soweit: Unsere erste große Flussdurchquerung lag vor uns. Es standen mehrere Autos an beiden Ufern und ein paar Männer suchten zu Fuß den "besten" Weg über die Sandbänke auf die andere Seite. Immer mit einem Blick für die Krokodile! Ich wurde immer nervöser und bereitete den Wagen vor (Freilaufnaben sperren, Allrad einlegen, Keilriemen lösen, Plane vor dem Grill verzurren).
Zwei Autos fuhren vor mir los und ich prägte mir die von ihnen gewählten Routen ganz genau ein. Leider blieben sie auf der anderen Seite im Schlamm stecken: Andere kamen aber sofort zur Hilfe und es gab keine Totalausfälle. Jetzt oder nie, dachte ich mir und setzte mich ans Steuer. Tief durchatmen, zweiten Langsamgang rein und LOS! Das Wasser war ziemlich tief (für meine Verhältnisse und ohne Schnorchel) und der weiche Sandboden stoppte meinen Vorwärtsdrang merklich. Ich kam aber durch und mit Vollgas wurde auch noch der anschließende Schlamm gemeistert. Ein Kommentar vom Zuschauer: "A Land Rover goes anywhere!" Jawoll! Und ich grinste zufrieden ...
Deb nahm mit ihrer Maschine ein kleines Floß und blieb komplett trocken. Steve konnte es dagegen nicht lassen und versuchte, den Fluss mit seiner Maschine zu durchqueren. Toller Plan, zumal er drei (!) Entlüftungsschläuche vom Vergaser nach oben unter den Tank verlegt und sich mit Hilfe einer aufgeschnittenen Plastikflasche einen Schnorchel für den Lufteinlass gebastelt hatte. Er musste es also stehend versuchen (Lufteinlass ist bei der XT 600 unter der Sitzbank, die jetzt nicht mehr montiert werden konnte und wo stattdessen eine Plastikflasche herausguckte). 20 von den 100 Metern schaffte er auch, bevor die Maschine verreckte: Den vierten (!) Entlüftungsschlauch hatte er leider übersehen und so konnte sich der Vergaser mit Wasser füllen ...
Ein kurzes Stück des Weges hinter dem Wenlock River war die Moreton Telegraph Station mit einem riesengroßen Campingplatz, wo wir übernachteten und nach 7 Tagen wieder eine Dusche genießen konnten. Man war zwar nach einer halben Stunde schon wieder total verstaubt, aber kurz sauber zu sein, war auch mal nett. Der Geruch war nicht so schlimm, aber das Beißen in den Augen ... So, nun hatten wir den ersten Fluss geschafft, jetzt aber weiter zu neuen Abenteuern!
Nach 40 km trennte sich die Spreu vom Weizen: Die Vorsichtigeren konnten den südlichen Bypass auf dem Weg zu "The Tip" wählen. Diese Strecke führt an den Flussdurchquerungen und schwierigen Passagen der OTL vorbei. Für uns aber ging es geradeaus weiter, entlang des ursprünglichen Wegs. Der Track wurde auch schlagartig eng und die Augen mussten jede Furche ganz genau beobachteten. Es dauerte auch nur 3 km bis zur ersten Herausforderung, dem Palm Creek. Laut Trek-notes: "Steep drop in and out." Stimmte! An der Ausfahrt wäre ich fast am Hang kleben geblieben, da alle Räder durchdrehten, aber das Vorwärtskommen ausblieb. Doofes Gefühl, zumal Dr. Billy in solchen Momenten die Angewohnheit hatte, auf- und abzufedern, so dass man leicht die Kontrolle verlieren konnte. Etwas lenken, abwechselnd nach rechts und links, gab dann den Reifen den nötigen Halt, und ich kam doch noch hoch. UFF! Das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein, machte sich breit. Toll, aber man durfte auch nicht mehr zu viel riskieren, da man sich immer mit eigenen Mitteln und ohne fremde Hilfe wieder aus der Patsche helfen können musste. Draufgängertum konnte leicht "fehl am Platze" sein und das wurde einem schnell bewusst!
Nur Idioten durchqueren den Gunshot Creek ...
Als es Steve und Deb mit ihren XT´s auch geschafft hatten, hörten wir ein anderes Auto: Ein Pärchen, unterwegs mit einem Nissan Patrol 2.8 Diesel und Off-Road Anhänger (absolut massives "Anhängsel" australischer Machart mit einer Tonne Leergewicht!), war auf dem gleichen Weg wie wir. Sie checkten die Durchquerung und Andrew fuhr durch, während Debbie (so hießen sie) am Ufer Fotos machte. Trotz Anhänger kam der Zug den Hang problemlos hoch. Tja, elektronische Sperrdifferentiale haben schon gewisse Vorteile ...
Es ergab sich, dass wir die nächsten Tage zusammen unterwegs waren: Andrew und Debbie, beide Mitte 30, hatten sich eine "Auszeit" von zwei Jahren genommen, um ihre Heimat genauer unter die Augen und Räder zu nehmen. Es ging nun also mit zwei Motorrädern und zwei 4WD´s weiter.
Noch drei Flüsse waren zu durchqueren, bevor wir am Dulhunty River unser Camp aufschlagen konnten. Beim abendlichen Angeln hatte ich leider wenig Glück und konnte nur eine Schlange beobachten, die gerade meinen Köderfisch verschluckte. Den wollte sie auch nicht wieder hergeben, und da ich keine Interesse hatte, im Land der giftigsten Schlangen an einer solchen "rumzuspielen", musste ich die Schnur schließlich kappen ...
Am nächsten Tag wartete etwas ganz besonderes auf uns: Von meinem ehemaligen Arbeitskollegen David hatte ich gehört, dass nur Idioten versuchen würden, den Gunshot Creek zu durchqueren. Die Trek-notes sagten: "Nerve wracking approach and exit. This is probably the hardest crossing on the run north.” (Nervenaufreibende Ein- und Ausfahrt. Die wahrscheinlich härteste Durchquerung auf dem Weg nach Norden). Angucken wollte ich es mir aber unbedingt und "Versuch macht klug".
Wir verabredeten uns mit Andrew und Debbie am Gunshot Creek. Als wir etwa eine halbe Stunde nach ihnen dort eintrafen, sagten sie uns, dass sie "es" machen würden. Mir war eigentlich klar, dass ich wirklich nur mal gucken wollte, aber die Umgehungsstrecke war doch recht lang und mit zwei Fahrzeugen erschien so eine Durchquerung doch recht "sicher". Wenn einer stecken bleiben würde, könnte ihn der Andere immer noch heraus ziehen.
Also musste ich mir wohl die 4 bestehenden Möglichkeiten, sich ins Flussbett zu stürzen, mal genauer betrachten: Die nördlichste Einfahrt war matschig, nicht zu steil und machten den befahrbarsten Eindruck. Leider aber war der Fluss an der Stelle mit über einem Meter für Dr. Billy wegen des fehlenden Schnorchels zu tief. Dafür konnte sie Andrew nehmen.
Nummer 2 schien durch den festen Lehmhang und 100%iges Gefälle (45°) die scheinbar beste Alternative zu sein. Leider nur so lange, bis ich die Fahrspuren abgelaufen war. Unten in der ersten Fahrspur war ich bis zum Knöchel im Matsch eingesunken. Das gefiel mir noch ganz gut, bis ich in die andere Fahrspur sprang und dort bis zum Oberschenkel versank. Das wäre ja vielleicht auch noch gegangen, wenn da nicht gleich eine steil aufragende Lehmwand gewesen wäre ...
Also, Nummer 2 musste wohl verworfen werden. Nummer 3 war mir mit ca. 60° zu steil und übrig blieb so nur Nummer 4: Die musste es dann auch sein. Zunächst wurde der Hang genauer unter die Lupe genommen und eine "optimale" Spur ausgesucht. Dann hieß es schnell noch das Gepäck im Auto zu verzurren und los zu fahren. Nachdem ich den Wagen in Startposition gebracht hatte, legte ich den ersten Langsamgang ein. Kurz vorm "Abgang" bekam ich von Andrew noch den Tipp, nicht die Bremse, sondern nur die Kupplung zu benutzen. So mutig war ich aber dann doch nicht und mein Fuß klebte auf dem Bremspedal.
Die Ölkontrolllampe hörte gar nicht mehr auf zu leuchten, scheinbar war der Ansaugstutzen der Ölpumpe nicht mehr im Öl. Das Ganze kombiniert mit einer rapide steigenden Motortemperatur, da ich den Keilriemen schon wegen der anschließenden Flussdurchfahrt gelöst hatte und ich so der Wasserpumpe den Antrieb genommen hatte. Einige Sachen begannen, im Wagen nach vorne zu fliegen, da hatte ich wohl doch ein paar Dinge beim Verzurren vergessen?! Die Frage "Warum mache ich das hier eigentlich?", kommt wohl jedem einmal, wenn er an so einem Hang klebt: Es gab nicht den Hauch einer Chance, diese Steigung wieder hoch zu kommen, sollte irgend etwas schief gehen ...
Doch es klappte alles trotz heftigsten Kniezitterns: Die Reifen hatten sehr viel Halt und ich kam unten im Zeitlupentempo in der Pfütze an. Tja, jetzt war auch ich einer der "Idioten", die den Gunshot Creek durchquert haben. Ein gutes Gefühl und die Erleichterung war riesengroß ...
© 2001 Henning Schulz-Streeck