Durch Patagonien, 21.11. - 28.11.2008

Die Reiseetappen dieser Tage sind lang und rasch kommen wir nach Süden. Auf der Karte ist deshalb diesmal nur noch der südliche Teil unserer Reise zu sehen.

Patagonien ...Bis zur Fähre nach Feuerland liegen 2.000 km vor uns, davon gut 500 km Piste. Die Versorgungsmöglichkeiten beschränken sich auf einige wenige Orte, Vorratswirtschaft ist angesagt. Das Wetter wird zunehmend "patagonischer": Das heißt Wind in Sturmstärke, vereinzelte Regenschauer und vom Sturm geprägte Wolken, die an bayrische Fönwolken erinnern, jedoch ungleich größer sind.

Radfahrer mit Feuerland als Ziel ...Wir folgen der Ruta 40, die uns als gleichförmiges Band durch die Grassteppe Patagoniens führt. Der Wind ist teilweise so stark, dass man in den 4. Gang herunterschalten muss und nicht mehr als 70 km/h in der Ebene zu schaffen ist. Hier Radfahrer zu treffen, die sich mit voll bepackten Rädern gegen den Sturm stemmen und Feuerland als Ziel haben, ist kaum zu glauben. Wir haben gleich mehrere getroffen und höchsten Respekt vor solchen Leistungen!

Eine der wenigen Sehenswürdigkeiten dieser Strecke sind die Cuevas de las Manos; Höhlen mit unzähligen Händeabdrücken, die teilweise über 8.000 Jahre alt sind. Um diese zu besichtigen, übernachten wir auf einer kleineren Estancia (45.000 ha; 1.000 Schafe, 800 Rinder, 350 Wildpferde) im Windschatten eines Gebäudes und können uns hier mal an einen gedeckten Tisch setzen. Über das Gelände dieser Estancia fahren wir am Folgetag zum Rande eines Canyons, um nach einer kleinen Wander- und Klettereinlage am Eingang der Höhlen zu stehen, die vor einigen Jahren von der UNESCO unter Schutz gestellt wurden. Ein Ranger erläutert uns die Spritztechniken der damaligen Zeit und mögliche Interpretationen der dargestellten Tier- und Jagdszenen.

Höhlen mit Jahrtausende alten Händeabdrücken ...Nach durchrüttelten 500 km Piste und unserer ersten Reifenpanne erreichen wir El Chalten im Nationalpark Los Glaciares (nördlicher Abstecher auf Karte nach Westen zur chilenischen Grenze) (Anm. der Red.: Siehe hierzu auch unseren Besuchsbericht Patagonien ´08).

Wir können auf einer Wiese der Parkverwaltung übernachten; die Ranger informieren uns in bestem Englisch über den Park und seine Wandermöglichkeiten. Dieser Ort besteht seit ca. 20 Jahren und verdankt seine Existenz ausschließlich bergbegeisterten Touristen.

Die prominentesten Granitfelsen lauten Fitz Roy und Cerro Torre, beide über 3.000 m hoch. Extremkletterer bewältigten diese Spitzen erstmals in den 50´Jahren, die leichteste Route wird bereits als extrem schwierig klassifiziert und fordert immer Kletterer heraus. Leider sind die Eisspitzen meistens in den Wolken versteckt. Nach zwei Tagen haben wir Glück und können dieses Massiv in seiner vollen Schönheit bewundern.

Eine 25 km Wanderung führt uns in diesem Massiv zur Laguna Torre, gelegen am Ende eines Gletscherfeldes. Das gesamte Gletscherfeld erstreckt sich in Nord-Süd Richtung über Hunderte km und wird uns einige Tage später am Perito Moreno Gletscher wieder begegnen. Die letzten Meter zur Lagune müssen wir gegen einen Sturm mit Schneeschauern ankämpfen, ein aufrechtes Gehen ist unmöglich. Hinter einer Steinmauer finden wir Schutz und können einige Fotos schießen. Der Weg führt dabei durch eine Natur, die noch frei von menschlichen Einflüssen ist. Die Stürme haben Büschen und Bäumen eindrucksvolle asymmetrische Formen verliehen; das Unterholz ist undurchdringbar.

Am Cerro Torre ...

Der Entdeckungsreisende Perito Moreno ist nicht nur der Namensgeber des gleichnamigen Ortes oder des Berges, sondern den meisten bekannt als der zu besichtigende Gletscher Argentiniens. Noch vor dem Frühstück stehen wir kurz nach 6 Uhr ganz alleine vor einer Gletscherwand, die zu besichtigen einzigartig ist. Auf einer Breite von 4 km fällt eine bis zu 70 m hohe senkrechte Eiswand in den Lago Argentino. Dieser Gletscher wächst jeden Tag in seiner Mitte um zwei Meter, die Randzonen noch um 40 cm pro Tag. Die Eisfront schillert im Sonnenlicht in allen Weiß- und Blautönen.

Das Wetter ist uns heute gnädig, wir können uns an dieser Szenerie nicht sattsehen. Wir hören den Gletscher arbeiten, es knallt und kracht wie Kanonendonner und von Zeit zu Zeit kalbt er. Haushohe Eiszinnen stürzen in den See, werden zu Eisbergen, die langsam nach Osten treiben. Wir sind bereits den Abend zuvor in den Nationalpark Los Glaciares (diesmal der südliche Abstecher auf Karte nach Westen) zurückgekehrt, campieren als Einzige auf dem Parkplatz, der tagsüber von Bussen mit Touristen überflutet wird und erleben noch den Sonnenuntergang über dem Eisfeld. Nachts hören wieder immer wieder das Knallen und Donnern des Gletschers ...

Am Perito Moreno ... ... eine bis zu 70 m hohe senkrechte Eiswand ...

Zur Mittagszeit hat die touristische Karawane ihren Höhepunkt erreicht, der Parkplatz platzt aus allen Nähten und auf den weiten Aussichtsplattformen herrscht ein Gedränge wie mittags auf dem Viktualienmarkt. Die Krönung ist ein Japaner in schwarzem Anzug und Halbschuhen, für uns ist es endgültig Zeit zum Aufbruch. Abseits der Zufahrtspiste finden wir einen weiteren Aussichtspunkt, machen Brotzeit, sind wieder alleine und genießen die Ruhe.

Wir merken wie diese Reise unsere Empfindungen verändern: Menschenansammlungen werden uns zunehmend fremd, wir suchen die Einsamkeit in der Natur und finden sie immer wieder in diesem großartigen Südamerika. Vieles ist hier improvisierter, einfacher und bei weitem nicht so vollkommen und perfekt wie in Deutschland. Auf der anderen Seite bietet das Land eine Offenheit, Weite und Freiheit, wie sie wohl in ganz Europa in dieser Form nicht mehr zu finden ist. Wir beide denken so, saugen die Gefühle auf wie ein Schwamm und wissen um ein Wiedersehen.

Das nächste sich anbietende Ziel auf der Landkarte ist der PN Torres del Paine, gelegen auf der chilenischen Seite und genau dies ist das Problem. Die restriktiven Lebensmittelkontrollen der Chilenen untersagen das Einführen jeglicher frischer Lebensmittel und Grenzer prüfen dies penibel. Bei dem geringen Verkehrsaufkommen hier bietet die ausführliche Kontrolle eines Fahrzeuges wie des unsrigen eine gute Ablenkung von der Tristesse der Arbeit. Wir verhalten uns deshalb konform und vernichten (essen) die meisten frischen Lebensmittel, der Rest wird an der Grenze dem bereitstehenden Brennofen geopfert. Um im PN Torres del Paine nicht zu verhungern, müssten wir gut 200 km Umweg fahren, um in der nächsten Stadt Puerto Natales einzukaufen. Somit verschieben wir diesen Teil auf den Rückweg unserer Reise und fahren direkt auf Feuerland zu. Unser Höhenmesser nähert sich unerbittlich der Meereshöhe und bald stehen wir am Atlantikstrand ...

Ein stählernes Segelschiff rostet am Strand ...

Unweit von uns hat sich vor vielen Jahren ein stählernes Segelschiff auf den Strand verirrt und rostet seitdem vor sich hin. Der elegante Rumpf ist noch gut zu erkennen und zeugt davon, dass das Wetter hier richtig heftig werden kann. Mittels Kompass richten wir unser Auto am Strand genau nach Westen aus, wir lassen das erste Mal das Hubdach unten und üben uns in akrobatischen Verrenkungen, bis das Nachtlager gerichtet ist. Die nächtlichen Gewitterböen, die Trippel-Symphonie und das Meeresrauschen wiegen uns in den Schlaf und wir stellen am nächsten Morgen fest, dass 90 cm Brettbreite gerade noch erträglich sind.

Die 120 km bis zur Fähre nach Feuerland (südlich Rio Gallegos) einschließlich der Grenze sind zügig passiert, am meisten bremst uns noch der Gegen- und Seitenwind. Wir kommen uns vor wie zu alten VW-Käferzeiten und versuchen, den Windschatten der LKW´s zu nutzen. Nur leider sind diese entweder windschnittiger oder haben mehr PS; mehr als einmal haben wir das Nachsehen und müssen uns bei 70 km/h in Geduld üben ...

Besser fahren im Windschatten von LKW´s ... Fähranleger nach Feuerland: schlichte Betonrampe ...

Der Fähranleger nach Feuerland ist unspektakulär und besteht schlicht aus einer Betonrampe, die irgendwo im Wasser endet. Die Fähre hält sich mit Maschinenkraft am Ufer im Sturm fest und über die Rampe geht es an Bord. Busfahrer demontieren ihre Front- und Heckspoiler, denn der Rampenwinkel ist erheblich. LKW´s verzichten aus solche Spielereien und fahren mit Brachialgewalt auf das Schiff, die Front- und Heckpartie passen sich den natürlichen Gegebenheiten eben an. Wir haben damit kein Problem und rollen ebenfalls an Bord. Die Überfahrt dauert gut eine halbe Stunde, die Fähre ist dabei gut 45° gegen den Kurs in Richtung Westen gefahren, so stark war der Wind.

Wir denken an Magellan, wie war es wohl im Jahr 1520, als er die nach ihm benannte Passage entdeckte. Ohne Goretex und Fleecejacken hieß es in nassen Klamotten bei Sturm, Regen und Kälte eine Passage durch dieses Inselgewirr nach Westen zu finden ...


© 2009 Hans-Jörg Wiebe