Schweden 1997
Kanutour auf dem Rogen - oder: Der zweite Versuch ...
Mit dem Ally bis zum Rogen
Da war sie endlich, die Abzweigung nach Käringsjövallen. Seit fast drei Wochen sind wir bei ununterbrochen fantastischem Wetter in Norwegen und Schweden unterwegs und versuchen, unseren "Neuen" zu versenken.
Da wir uns etwas verzettelt hatten - es gab einfach zu viele schöne Stellen, die zum Verweilen lockten - blieb nicht mehr die Zeit für eine große Tour. Aber bis zum Rogen und zurück musste es einfach noch ausreichen!
Angefangen hatte alles vor zwei Jahren. Damals paddelten wir mit unserem Yoho 3 und Verpflegung für etwa eine Woche munter los. Wir hatten aber nicht damit gerechnet, dass die nun rasch aufeinanderfolgenden Umtragungen doch etwas zuviel des Guten waren. Um nun nicht gleich dazustehen, als hätte ich meinen Spinat nicht gegessen, muss ich zum Verständnis erklären, warum es nicht so recht klappte. Da meine Ehe- und schlagkräftige Vorderfrau (im Canadier!!) einige marode Bandscheiben ihr eigen nennt, hält Sie sich beim Tragen von Boot und schwererem Gepäck zurück. Der Bootswagen hätte geholfen, ließ sich hier aber nicht verwenden. So trug ich denn nach Altvordern Sitte erst den Canadier und dann das Gepäck huckepack. Portage heißt das klangvoll, aber "zum Teufel, können die Kisten schwer sein"!
Kurzum, arg niedriger Wasserstand und sich bös verschlechterndes Wetter, es war auch schon Spätherbst, ließen uns nach der dritten Schlepperei und einer Übernachtung an Umkehr denken. Aufs Denken folgte die Tat, und so sahen wir leider nicht den Rogen, sondern nur noch einmal die gleichen Portagestellen. Etwas frustriert, aber die Köpfe voll von Bildern der einsamen, kargen und doch so anziehenden Landschaft kamen wir wieder in Käringsjön an. Noch beim Verladen von Boot und Gepäck war klar, hierhin kommen wir zurück.
Wir beschlossen für diese spezielle Tour und für zukünftige Portagefälle ein leichteres Boot anzuschaffen.
Da wir aber in unseren Yoho geradezu vernarrt sind, wollten wir nicht einfach ein anderes leichteres, sondern ein zusätzliches Boot. Bei der Suche nach etwas Passendem, das sich zerlegen und so leichter mitnehmen lässt, fanden wir nach XR-Trekking und Outside, beides Schlauchcanadier, auch den Ally Faltcanadier. Da die beiden Schlauchboote nach unserer Meinung zu wenig Stauraum bieten und wohl auch mehr für strömendes Wasser geeignet sind, blieb nur der Ally.
Dieser, wie ich glaube in Deutschland noch nicht sehr häufig gepaddelte Faltboottyp, hat einige Vorteile. Zum einen schaut er aus wie ein richtiger Canadier und hat auch, je nach Größe, ausreichend Stauraum. Zum anderen das wirklich niedrige Gewicht! Wir hatten uns für den Ally Tramp 15' DR entschieden, der bei einer Länge von 4,5 m und einer Breite von 94 cm nur 16,5 kg wiegt. Da ich noch nie ein Faltboot zusammengebaut hatte, sah ich der Erstmontage mit gemischten Gefühlen entgegen. Zu Unrecht, denn nach nur 30 Minuten war es vollbracht. Allein und ohne helfende dritte Hand. Zu Zweit gehts inzwischen in 15 Minuten.
Im Wasser paddelt er sich etwas langsamer als ein festes Boot. Er dreht aber relativ leicht und lässt sich gut manövrieren. Meiner Meinung nach ist der Ally mit seinen Fahreigenschaften zumindest auf Zahmwasser bei gepäckträchtigen Wanderfahrten den Schlauchcanadiern weit überlegen.
Und da waren wir nun: Von Idre waren wir über die Straße Nr. 70 und 311 gekommen und hatten auf dem letzten Stück schon nach der Abzweigung gespäht. Die Schotterstraße bis Käringsjövallen führt zwischen den Seen Västra und Östra Vattnan hindurch. Hier finden sich auch einige sehr schöne Stehplätze, die sich gut als Basis für Tagestouren auf den genannten Seen eignen. Kurz hinter Käringsjövallen bildet die Straße eine Art Wendehammer mit Parkmöglichkeit. Von hier lassen sich auch gut Wandertouren ins Rogen Naturreservat starten.
Hält man sich vorher links, so fährt man auf einer abgabepflichtigen Privatstraße Richtung Käringsjön. Dieser je nach Einstellung abartige bis herrliche Wanderstieg, anders kann man ihn eigentlich nicht nennen, führt ca. 10 km durch dichten Wald und Sumpf. Entgegenkommen sollte niemand, sonst wird’s eng. Wir genossen die Hoppelei und amüsierten uns über die Steinplatte auf halber Strecke, auf die ein humoriger Zeitgenosse "Hål ut", was soviel wie durchhalten bedeutet, geschrieben hatte.
Gut durchgemixt kamen wir in Käringsjön an und bezahlten erst einmal die geringe Gebühr fürs Benutzen der "Straße" und das Parken.
Da es erst Ende Mai war, hatten wir den Parkplatz für uns allein. Nun sollte sich zeigen, ob unsere Rechnung mit dem "Canadier light" aufging.
Während des vorangegangenen Urlaubs hatte ich es immer kaum weiter als ein paar Meter zum Wasser gehabt. Das hatte nun ein Ende. Vom Parkplatz zur Einsatzstelle an einem gewundenen Kanälchen durchs Schilf waren es etwa 150 Meter. Zuerst wurde der Ally, dessen Gewicht durch die eingebauten Sitze und die zwei als Tragejoch verwendeten Paddel, realistisch wohl bei etwa 18 -19 kg liegt, getragen. Die reinste Erholung, wenn man sich die ca. 40 kg vorher ins Gedächtnis ruft. Dann folgte das Gepäck, welches völlig wasserdicht verpackt war - schließlich fuhren wir jetzt ein "Open Canoe"! Auch die nun größere Gepäckmenge konnte problemlos verstaut werden.
Auf den folgenden ca. 2 km durch den Käringsjön zeigte sich, was mich auch während der vorangegangenen Fahrten etwas störte. Die Sitzposition war einfach unbefriedigend. Ich persönlich favorisiere die Position "angelehntes knieen", diese Position nun ist im Ally nicht so gut einzunehmen. Der bei uns noch nicht nicht schräg verstellbare Sitz (inzwischen gibt es den sog. Trappersitz) fördert mit der Zeit die anatomische Umgestaltung der Heckpartie. Was einfach ausgedrückt heißt, es tut weh und ist unbequem. Ausgelegt scheint der Sitz fürs Sitzen mit angewinkelten oder ausgestreckten Beinen. Letzteres ist raumgreifend, aber fördert den Einfallsreichtum beim Gepäckstauen. Außerdem fühle ich mich so etwas kibbelig. Aus dem Bug kamen diesbezüglich keine Klagen, so das ich mich frage, ob es vielleicht an meiner Anatomie liegt. Am angenehmsten war noch die Position mit auf der Schlagseite ausgestrecktem Bein. Ansonsten ein Wechsel aller möglichen Positionen.
Wir paddelten etwa südwestlich in eine längliche Ausbuchtung, an deren Ende die Portage zum nächsten See, dem Hån lag. Das Wetter verwöhnte uns mit stahlblauem Himmel und ruhig dahinziehenden Wattebauschwolken. Die zunehmende Entfernung zu Käringsjön, wo es zwar nicht laut herging, aber es hatte einen gewissen Geräuschpegel, ließ die langsam einsetzende Stille die Oberhand gewinnen.
Ein letztes Mal kläffte ein Hund, dann verschluckten uns die Naturgeräusche. Auch in unseren Köpfen machte sich eine gewisse Ruhe gepaart mit gespannter Erwartung breit. Die näherrückende Heimfahrt hatte doch schon eine spürbare Unruhe ausgelöst. Doch bevor wir ins Träumen verfielen, holte uns die Wirklichkeit zurück. Die erste Portagestelle war erreicht.
Wir hätten auch zum westlich gelegenen Kråksjön mit einer Umtragelänge von ca. 200 Metern fahren können, aber nein, wir mussten uns quälen. Jetzt wartete eine Strecke von etwa 500 Metern durch Wald und Sumpf sowie über einen steinigen Hügel auf uns. Dazu gesellten sich alle hungrigen Mücken, die, wie die Mengen vermuten ließen, auch von weiter her zum Dinner kamen ...
Das bis jetzt sehr warme Frühjahr hatte so auch seine Schattenseiten. Jedenfalls alle Mücken und nicht zu vergessen, die noch lästigeren "Knotts" waren schon da. Wir waren froh, bis jetzt mit unseren schwedischen Mückenmitteln gegeizt zu haben. Hatten wir doch in diesem Urlaub fast kein Geschäft gefunden, in dem schon welche vorrätig waren.
Wir legten an, was mit dem Ally immer etwas vorsichtiger angegangen wurde als mit unserem festen Boot. Das Unterschiff des Ally zeigte sich aber wesentlich robuster als die relativ dünne Haut vermuten ließ. Wir schafften es jedenfalls nicht, irgendwelche nennenswerte Spuren zu erzeugen. Das noch beladene Boot an Land zu ziehen sollte man aber doch unterlassen, so stabil ist diese Haut-und-Knochen-Konstruktion wohl nicht. Wir entluden also noch im Wasser liegend, und jetzt sollte sich zeigen, ob man beim Einpacken seinen Grips benutzt hatte. Wenn nicht, dann benutzte man nun seine Beine, weil halt der Weg öfter gegangen wird. Bepackt, so gut wie jeder konnte, wurde die erste Fuhre bis zum Hån geschleppt. Den Rückweg nutzt man zur Erholung! - Wer daran glaubt.
Wo es doch hinter jedem Busch und Stein was zum Entdecken gibt - was die gelaufene Strecke verdoppelt. So einfach ist das. Immer noch voller Elan wurde die zweite Ladung geschultert und während wir so durch ein Sumpfloch stapfen, die Sonne ordentlich brennt und wohl auch endgültig alle Mücken mich zur Hauptspeise erkoren haben, kommt aus noch unerforschter Tiefe meines Hirns eine blödsinnige Frage hoch. Was tust du hier eigentlich? Die Antwort ist einfach. Ich mache Urlaub. Alles klar? Zuletzt schulterte ich unsere Schwimmhilfe, und wie schon erwähnt ging es leichten Fußes endgültig zum Hån.
Nach einer kurzen Pause und nur etwa 500 Metern Fahrt in westlicher Richtung gelangten wir mit Treideln und von Stein zu Stein hüpfend in einen kleinen namenlosen Teich. So durfte es weitergehen. Vor zwei Jahren mussten wir hier wegen des viel niedrigeren Wasserstandes entladen und das Boot über die Steinbarriere heben.
Inzwischen war es völlig wolkenlos und ein leichter Wind kräuselte die Wasseroberfläche. Die irisierenden Reflexionen ließen den Eindruck aufkommen, wir stünden in einem Meer von Edelsteinen und nicht auf ein paar Steinen zwischen zwei Seen. Wo waren da die dummen Fragen nach dem Warum? Eindrücke wie dieser waren Grund genug auch Strapazen auf sich zu nehmen ...
Es folgte eine kurze Fahrt von ca. 250 Metern, dann war wieder Treideln angesagt. Wir hatten aber auch wirklich Glück. Auch hier hieß es vor zwei Jahren Entladen-Heben-Laden. Durch einen ebenso namenlosen länglichen See ging es genau weiter in westlicher Richtung zum Krattelsjön. Am Westende dieses Sees war die Umtragestelle recht gut zu sehen. Da der Krattelsjön einige Meter höher liegt, war wieder Portagieren angesagt. Es existiert hier eine Art Schiene aus Rundholz, über die man auch beladene Boote ziehen kann.
Was mit dem Yoho klappte, war nichts fürs weichhäutige Faltboot. Also auch hier die inzwischen eingeübte Entladen-Tragen-Laden-Masche. Da nur etwa 20 Meter und 2-3 Höhenmeter zu überwinden waren, hatten wir es schnell hinter uns. Endlich lag eine längere Paddelstrecke vor uns. Da der Krattelsjön einige Sunden und Buchten vorzuweisen hat, wäre es leicht, hier einen ganzen Tag herumzustöbern. Da es aber schon fast 18 Uhr war, stand der Sinn nach Lagerplatzsuche. Einen tollen Platz fanden wir dann auf einer Landbrücke, die den Krattel- vom Uthussjön trennt. Da beide Seen etwa den selben Wasserstand haben und die Landbrücke auch nur knapp 30 Meter breit ist, würde das Um- oder besser Übertragen keine große Sache werden.
Da das Ufer sehr steinig war, und damit meine ich Brocken zwischen 50 cm und 1 Meter, konnten wir nicht richtig anlegen, und so verbanden wir das Angenehme, nämlich Baden, mit dem Nützlichen, das Boot auszuräumen. Die Wassertemperatur beschleunigte auf natürliche Weise dieses Tun, und so war in 5 Minuten alles erledigt. Der nun leere Canadier ließ sich jetzt relativ einfach aus dem Wasser lupfen und trockenlegen. Direkt in Ufernähe fanden wir einen schönen ebenen Platz unter einem Baum. Das Kuppelzelt war wie immer schnell aufgebaut, bald auch die Packsäcke entleert und alles geordnet ins Zelt geräumt. Erstaunlicherweise hielten sich die sirrenden Raubtiere zurück. Vielleicht hatten Sie sich ja an mir die Mägen verdorben. Hoffentlich! Um nun nicht gleich wieder zu sitzen und womöglich auch noch zu Essen - wessen Magen knurrte hier eigentlich? - kletterten wir noch etwas auf den Uferfelsen herum und erkundeten die nähere Umgebung. Massenhaft Blaubeersträucher, doch für uns zu früh, noch waren es alles Blüten. Auch mit Pilzen wenig Chancen. Da wir doch nur Essbares im Sinn hatten - ich gestehe, es war mein Magen der da lärmte - eilten wir zurück um nun endlich zu kochen.
Zuerst wurde ein Topf Tee aufgesetzt. Eine Pause ohne? Undenkbar! Danach gab es gebratenes Dosenrindfleisch mit Curryreis und Spiegelei. Etwas eigenwillig, aber sehr lecker. Da wir diesmal zwei Einflammenkocher mitgenommen hatten, ließ sich das Essen halbwegs zeitgleich zubereiten. Nachdem wir noch lange in der tief stehenden Sonne herumgelegen hatten, und die sich jetzt doch anschickte unterzugehen - es war ja auch schon 22 Uhr - krochen auch wir in die Schlafsäcke. Wir waren sofort tief und fest eingeschlafen, und so dauerte es eine Weile bis wir überhaupt erwachten. Was für ein Lärm! Es war kurz nach Drei und wir fühlten uns wie gerädert.
Die lange Autofahrt, die Paddelei und die Sonne, dazu noch die Liegematten, deren weitere Verwendung noch fraglich war. Nachdem wir uns aus den Schlafsäcken gepellt hatten, lauschten und orteten wir erstmal, woher das Jaulen, Pfeifen, Platschen und Flattern kam. Wenn nicht alles täuschte, rumorten die Prachttaucher, denn genau diese hielten wir für die Ruhestörer, auf der anderen Seite der schmalen Landbrücke im Uthussjön. Wir krochen leise aus dem Zelt und schlichen vorsichtig, uns hinter Bäumen und Felsen haltend, bis zu einer Stelle, von der aus wir freie Sicht auf die Wasserfläche des Uthussjön hatten.
Das Licht war gut, wurde es um die Jahreszeit ja nicht mehr richtig dunkel. Am Horizont zeigte sich auch schon ein dicker roter Streifen. Und tatsächlich. Hatten wir bislang hier und da einzelne Vögel oder auch mal ein Paar gesehen, hier waren etwa 15 Tiere zugange. Es sah aus, als würden Sie Fangen spielen. Unentwegt tönten ihre unheimlichen Rufe. Dazu flatterten und reckten Sie sich aus dem Wasser. Vor lauter Begeisterung hatte ich mich wohl zu weit vorgewagt. Wie auf Kommando tauchte die ganze Bande weg. Weiter draußen tauchten sie nacheinander wieder auf. Wir sahen zu, dass wir noch etwas Schlaf abbekamen. Bis zum Entschlummern hörten wir ihre jetzt sich immer weiter entfernenden Rufe. In unserer Hörweite nahmen Sie ihr wildes Spiel aber nicht mehr auf.
Nach diesem nächtlichen Spektakel versuchten wir ein wenig länger zu schlafen. Das aber wurde nichts.
Die Sonne meinte es wirklich gut mit uns. Gegen halb acht wurde es im Zelt einfach zu warm. Unser 21. Tag in Schweden, und Worte wie "Regen" klangen schon irgendwie fremd. Wo war nur unser normales Schwedenwetter? Doch was sollte das nun wieder? Aber so ist das mit dem Wetter. Ob Regen, Wind oder Sonne, oft hat man das, was gerade nicht gebraucht wird. Uns jedenfalls war's nun zu warm!
Da die Luft sehr trocken war, hatte sich kein Kondenswasser am Außenzelt niedergeschlagen, und wir konnten es sofort einpacken. Bevor nun das Gepäck wieder zusammengepusselt wurde, gönnten wir uns ein fürstliches Frühstück. Von Müsli über Bannockbrötchen zu Polarkaka, dem schwedischen Fladenbrot. Dazu der obligatorische Tee - jetzt war die Welt wieder in Ordnung. Lilly fühlte sich fit genug und wollte unbedingt den Ally mit tragen. Das klappte auch sehr gut, und wenig später dümpelten wir im Uthussjön. Endlich konnte man die Paddel wieder richtig durchziehen. Der See lag wie ein Spiegel und die Luft wirkte samtig und roch einfach gut. Die Luftlinie bis zur nächsten Portagestelle in einen kleinen namenlosen See betrug zwar nur 2 km, aber im labyrinthartigen Uthussjön verdoppelt sich die Entfernung schnell. Natürlich erst recht, wenn man so wie wir dazu neigt, in jede sich bietende Bucht hinein zu schnüffeln. Wie oft hatten wir uns dabei festgefahren. Das bringt mich wieder auf den Ally.
Gerade beim Auflaufen auf (hoffentlich) abgerundete Steine zeigte sich ein Phänomen, das bei harten Rümpfen gar nicht oder selten auftritt. Traf man einen Felsen voll und rutschte so richtig bis zur Mitte, saß man unweigerlich fest. Eine Gefahr der Beschädigung besteht bei glatten Steinen nicht. Die intelligente Lösung, eine Schaummatte zwischen Außenhaut und Gestänge zu packen, macht das Unterschiff sehr strapazierfähig. Was beim Faltbootkajak häufig mit an- oder durchgescheuerter Haut genau über einem Spant oder einer Längsstrebe endet, schert den Ally wenig. Aber der Vorteil der nachgiebigen Haut hat auch einen kleinen Nachteil. Wo andere Boote einfach, beschädigt oder nicht, abrutschen, schmiegt sich der Rumpf des Ally sauber an. Und das war´s dann. Wie festgeleimt hängt man da. Bis heute sind wir mit allerlei Akrobatik immer freigekommen, aber man wird vorsichtiger. Eigentlich braucht es ja nur einen aufmerksamen Bugausguck, aber dieses Thema soll ja schon Scheidungen ausgelöst haben!!
Wir jedenfalls erreichten dank Lillys Kartenlesekunst nach lockerer Fahrt, die angepeilte Landbrücke, die uns von dem kleinen See trennte. Die vielleicht 80 Meter über moorigen Boden waren kein Problem. Wenn da nicht - ja, da waren sie alle wieder, die Mücken, inzwischen genesen und wahrscheinlich auch gegen mich immun. Die Lapplandpest stürzte sich in solchen Mengen auf uns, dass uns gar nicht erst in den Sinn kam, die interessante Flora des Moorbodens näher in Augenschein zu nehmen. In Rekordzeit hatten wir alles eingepackt und nixwieweg. Nach ca. 500 Metern war schon die nächste Portagestelle erreicht. Auch hier ging´s flott von der Hand. Auf dem Wasser hatten wir uns einbalsamiert, und so konnten wir den schon auf uns wartenden Geschwadern gelassen entgegensehen. Aber auch das will ertragen sein. Stechen tun sie ja nicht, aber immer eine Handbreit vorm Gesicht! Endlich waren wir beide mal umschwärmt!!
Bald darauf schwammen wir im Nybodtjärnen. Obwohl wir jetzt lieber einen Lagerplatz gesucht hätten, wollten wir diesen See noch durchqueren. Die Zeit wurde doch etwas knapp. Nach etwa 2/3 der Seelänge näherte man sich bis auf ca. 250 Metern dem Östra Rödsjön. Hier musste es sein. Wie war das? - Karten lügen nicht. Wir konnten noch so suchen, es gab keine kürzere Strecke. Wer nicht paddeln darf, muss tragen! Also wieder einmal Räumen - Tragen - Räumen. Für heute hatten wir die Faxen aber dicke ...
Kurze Zeit später fanden wir ein Plätzchen auf einer Landzunge. Nur gut, dass das Kuppelzelt auch ohne Häringe steht, denn nach einem Krummgeklopften gab ich die Suche nach einer weichen Stelle auf. Da wir beide recht schlapp waren, und keiner Lust hatte zu kochen, gab´s nur Tee und ein paar Kekse. Die Nacht verlief ruhig, und wir schliefen beide sehr gut, woran die Ackerei des Vortages wohl nicht ganz unschuldig war. Als wir erwachten, es war schon kurz vor neun, wunderten wir uns über die angenehme Temperatur im Zelt. Der Blick nach draußen brachte Klarheit. Der Himmel war fast zu. Sollte es etwa regnen? Das wäre natürlich auch nicht in unserem Sinne. Wie war das noch mit dem Wetter? Aber als das Zelt abgebaut, das Frühstück genossen und der Ally beladen war, hatte sich der Himmel schon wieder in Blau gehüllt. Die verbliebenen ruhig dahin ziehenden weißgrauen Wolken ließen auf zeitweisen Schatten hoffen. Auch die Befragung unseres Wettergottes (ein Barometer), verhieß weiterhin nur Gutes. Dahingehend beruhigt machten wir uns daran, den schmalen Durchgang in den Hauptteil des Östra Rödsjön zu finden.
Da der Seeteil, in dem wir uns befanden, wie ein Trichter zuläuft, konnten wir den Durchschlupf nicht verfehlen. Nach ungefähr 3 km schöner Strecke erreichten wir das Ende der Labyrinthfahrt, den oder einen Ausfluss des Östra Rödsjön in den Rogen. Da der Abfluss wegen Verblockung und angespültem Holz nicht befahrbar war, blieb mal wieder nur die Portage. Aber wir waren endlich am Rogen. Jedenfalls beinahe.
Was zählten da schon die anderthalb Stunden Kraxelei über Stock und Stein durch dichtes Unterholz, und Wolken von Mücken! Gerade bei dieser Portage zeigte sich, dass man den Ally, zumindest den Typ, den wir unser Eigen nennen, auch gut durch schwierigeres Gelände tragen kann. Ich hatte jedenfalls beim Tragen alleine nie Probleme mit dem Gleichgewicht. Als dann endlich Sack und Pack mit Boot und Besatzung an einem schönen Sandstrand vereint waren, setzten wir uns ans Ufer und ließen die ungewohnte Weite des Rogen auf uns wirken. Hatten wir es ja nun doch noch geschafft! Wir kochten erstmal Tee, der dann mit einem Schuss Wodka verfeinert wurde. Schließlich mussten wir unseren Erfolg doch irgendwie feiern. Der Wodka war selbstverständlich nur aus "medizinischen" Gründen im Gepäck. Da dies kein Gelage werden sollte, beließen wir es bei einem "Schuss", und machten uns bald daran, die etwa 6-7 km, die wir im Rogen zurück paddeln mussten, in Angriff zu nehmen.
Wir paddelten aus der Bucht Rödviken am Nordufer entlang Richtung Rogenstugan, also nach Süd-Osten. Da das Wetter einen stabilen Eindruck machte, wagten wir uns etwas weiter als üblich hinaus. Wir behielten aber das Ufer im Auge, ständig bereit, bei drohendem Wettersturz das schützende Land zu gewinnen. Überhaupt sollte man auf skandinavischen Gebirgsseen möglichst nicht zu weit vom Ufer entfernt paddeln oder an sehr breiten Stellen kreuzen. Die hohe Lage des Rogen von etwa 750 m ü.M. bringt es u. a. mit sich, dass sich das Wetter sehr rasch verschlechtern kann. Eine Kenterung weitab vom Ufer würde hier wie auch auf anderen kalten Gebirgsseen große Probleme bereiten. Nicht zuletzt wegen der oft unterschätzten Gefahr von Hypothermie, der lebensgefährlichen Unterkühlung.
Doch wie jetzt schon seit Wochen, blieb uns das Wetter treu und so erreichten wir die angepeilte Stelle. Die Bucht, hinter der ein kleiner Teich von etwa 200 Metern Länge liegt, sieht auf der Karte aus wie ein Fischmaul.
Wir umrundeten die zweite Landzunge und landeten in der Mitte der jetzt anschließenden Bucht an. Nach einer kleinen Pause, die fast nur aus Trinken bestand - die Fahrt in voller Sonne auf dem Rogen forderte ihren Tribut - trugen wir wie gehabt die Ausrüstung und dann das Boot wieder mal zu zweit an den Teich. Wir hielten uns nordöstlich und bald begann ein schmaler kanalähnlicher Bach, der laut Karte bis zum Hån führt. Wir schafften aber nur knapp einen Kilometer, den wir mit Treideln - Paddeln - Ziehen - Schieben und nicht zu vergessen, mit Fluchen und nach den wieder zahlreichen Mücken schlagend, hinter uns brachten. Dass wir dabei etwas aufräumten, nämlich störendes Holz aus dem Wasser zerrten, sei nur am Rande erwähnt. In einem festen Boot hätte uns das ja nicht gekratzt, aber nun dachten wir halt an nachfolgende Faltbootfahrer ...
Nachdem unser Fahrwasser uns nicht mehr tragen wollte, hieß es wieder einmal Laufen. Von der Stelle, wo wir nicht mehr weiter kamen, führte zum Glück ein Pfad bis zum Hån. Ich war momentan gut drauf, und so trug ich den Ally und dann die erste Gepäckfuhre allein zum Hån. Als ich zurück kam, hatte Lilly schon unser Lebenselixier Tee zubereitet. Die Pause dauerte dann doch etwas länger als vorgesehen. So gegen 18 Uhr machten wir uns mit dem verbliebenen Gepäck auf die Socken. Die Fahrt durch den Hån war ja nur kurz, und so standen wir um kurz vor 19 Uhr schon wieder vor einer Portagestelle. Hätten wir jetzt weiter gemacht, so wären wir gegen 21 Uhr in Käringsjön angekommen. Da jeder Spaß mal ein Ende habe muss, schließlich sollte man sich auch beherrschen können, wurde einstimmig beschlossen, es für heute genug sein zu lassen.
Auf dem kleinen Höhenrücken, der zwischen den Seen lag, suchten und fanden wir ein Plätzchen, welches für unser Zelt gerade ausreichend war. Wir waren weit genug weg von Sumpf und Wasser, und es war zugig. Also beste Bedingungen für einen mückenarmen Abend. Wir räuberten die Futtertonne und brachten eine richtige italienische Pasta zusammen. Rigatoninudeln mit Pestosoße und dem Rest Aufschnittkäse. Köstlich! Dazu nicht ganz stilecht, wurde der Wodka mit Zitronengetränkepulver zum Longdrink. Die aufkommende Stimmung war schon fast bedrückend. Einerseits die Reize der zurückgelegten Tour (noch hatte man die Eindrücke gar nicht alle verarbeitet), andererseits war dies die letzte Nacht in schwedischer Wildnis.
Die noch folgenden während der Rückfahrt zählten irgendwie nicht. Mit gemischten Gefühlen kuschelten wir uns bald darauf in die Schlafsäcke. So warm es auch am Tag wurde, die Nächte waren doch noch recht frisch.
Mitten in der Nacht wurde ich plötzlich wach. Da war doch ein Geräusch gewesen. Da wieder! Genau über meinem Kopf machte etwas 'plopp' auf dem Zelt, und dann folgte ein sirrendes, schleifendes Geräusch, dann Rascheln, Stille. Wieder Rascheln, 'plopp', Rascheln, Stille. Dann plötzlich Huschen und Trippeln direkt am Innenzelt. Mit meinen langsam erwachenden Sinnen kam auch die Erkenntnis über die Identität des Raschlers.
Da hatte wohl eine Maus das Transporttönnchen mit dem Aufschnitt, der Wurst, Butter und dem Käse erschnüffelt. Wie ich mit der Taschenlampe sah, hatte ich vergessen, den Deckel zu schließen. Die mutige (oder wahrscheinlicher) die hungrige Maus hatte versucht, aufs Zelt zu springen - 'Plopp'. Dann war sie abgerutscht - das schleifende Geräusch. Ein Schlag an die Zeltwand beendete den Spuk. Beim Einschlafen war ich froh, jetzt nicht in Kanada zu sein und soeben einen Bären verärgert zu haben ...
Kaum war ich entschlummert, wurde ich schon wieder wach. Plopp, Plopp, rauschen und dann aber Hallo! Ein Regenguss wie aus Kübeln. Ein - zwei Blitze, etwas Gegrummel, noch ein paar Tropfen, dann war wieder Ruhe. Diesmal war auch Lilly wachgeworden, und so sprachen wir noch über dies und das, bis wir wieder einschliefen. Der Morgen aber sah schon wieder die Sonne, und als wir so gegen 8 Uhr aus dem Zelt krochen, war dieses auch schon fast trocken. Wir trödelten mit dem Frühstück, als könnten wir so dem Aufbruch entgehen. Um 10 Uhr hatten wir alles verpackt und trugen Boot und Gepäck zum Käringsjön.
Die anderthalb Kilometer bis Käringsjön wurden durch Auspaddeln der Buchten noch etwas gestreckt, aber um kurz nach 12 Uhr war der Bart ab. Das letzte Tragen bis zum Auto hatte etwas Endgültiges, zumindest für den Ally. Der wurde innerhalb weniger Minuten zerlegt, und so wurde aus unserem zuverlässigem Begleiter fürs Erste ein Sack von etwa 60 cm x 120 cm. Die zurückliegende Tour aber hatte uns gezeigt, dass auch portageträchtige Routen jetzt für uns machbar waren. Auch das Wasser des Rogen hat uns nicht das letzte Mal getragen ..!
© 2001 Bernd van Ooy
Anm. der Redaktion: 7 Jahre später war Bernd wieder vor Ort am Rogen und hatte dabei nicht allzu viel Glück -
- Schweden 2004: Die Rückkehr ins Kanutenparadies ...
Und weitere Bootstouren von Bernd van Ooy in Schweden finden sich unter
- Schweden 2001: Auf dem schwarzen Fluss
- Schweden 2002: Frostige Nächte am Stora Gla
- Schweden 2003: Auf dem "Nittälven"
Wer den Autor auch als begeisterten Camper und seine Entwicklung bis hin zum Besitzer eines optimalen Expeditionsanhängers verfolgen will, dem sei in unserer Rubrik "Expeditionsfahrzeuge" noch sein weiterer Beitrag Vom Wohnen und Schlafen auf Reisen empfohlen oder aber in der Rubrik "Kochen Unterwegs" sein Bericht über den Bau eines Outdoor-Ofens: Feuer und Stahl! Und lesenwert auch sein Beitrag über die "Ersatz-Kothe": Wie kommt Feuer ins Zelt?